Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn)

20.06.2009 02:58 (zuletzt bearbeitet: 20.06.2009 03:02)
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Experten aus Oberösterreich informieren über chronisch entzündliche Darmerkrankungen: Zahlen, Fakten, Therapietrends - frühe Diagnose und kompetente Behandlung verbessern Prognose - neue Studienergebnisse aus den USA - Selbsttest liefert Hinweise auf Erkrankung


(20.06.2009, Rheuma-Selbst-Hilfe at.com)


Etwa 8.000 bis 10.000 Oberösterreicher/-innen sind an den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) Colitis ulcerosa und Morbus Crohn erkrankt, Österreich-weit sind es zwischen 50.000 und 80.000. Landessanitätsdirektor Dr. Stefan Meusburger: "Wir sprechen hier nicht nur von sehr verbreiteten, sondern auch von sehr ernsten chronischen Erkrankungen, die sehr tief in das Leben der davon Betroffenen eingreifen. CED sind Krankheiten, die nicht nur von der Medizin, sondern auch von der Gesundheitspolitik sehr ernst genommen werden." (Colitis ulcerosa ist eine chronische Entzündung mit ausschließlichem Befall des Dickdarms, Morbus Crohn kann den kompletten Verdauungstrakt vom Mund bis zum After befallen.) Oberösterreichische Experten informieren deshalb im Vorfeld der 42. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH) über CED und berichten u.a. über neue Daten zur Therapie, die letzte Woche auf der Digestive Disease Week in Chicago präsentiert wurden.

"Die Patienten können in Oberösterreich - gemeinsam von niedergelassenen Ärzten und von den Kollegen in den Krankenanstalten - sehr gut betreut werden", so Dr. Meusburger. "Die breite Öffentlichkeit wenig über CED nur sehr wenig, und wenn die Ergebnisse von Meinungsumfragen zutreffen, ist davon auszugehen, dass dieses Nicht-Wissen unter anderem dazu führt erste Anzeichen von CED zu bagatellisieren und nicht zum Arzt zu gehen, um eine präzise Diagnose zu erhalten. Eine solche ist aber gerade bei CED besonders wichtig, denn je frühzeitiger die Krankheit diagnostiziert wurde, desto früher kann mit einer kompetenten Behandlung begonnen werden."

Eine Auswertung des ÖBIG zeigt in den vergangenen 15 Jahren einen starken Anstieg der CED-Diagnosefälle in Österreich um 270 Prozent. Dies schlägt sich auch in der Statistik der stationären Aufenthalte nieder, die gerade in den letzten zwei Jahren einen Anstieg von immerhin 12 Prozent auf 19.490 stationär behandelte Patienten mit diesen Erkrankungen ausweist.

Vor allem junge Menschen betroffen - massive Einschnitte in vielen Lebensbereichen

"CED betreffen Frauen und Männer gleichermaßen. Sie treten meist zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahrzehnt auf, also im jungen Erwachsenenalter. Allerdings können auch Kinder oder ältere Menschen daran erkranken", so Prim. Univ.-Prof. Dr. Friedrich Renner (Interne Abteilung, Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried, Präsident der ÖGGH). CED sind nicht tödlich, sie bedeuten für die Betroffenen aber eine massive Einschränkung der Lebensqualität. So leiden z. B. etwa 90 Prozent der CED-Patienten phasenweise bis lebenslang an Durchfall. Das kann zehn- bis 15 Mal und mehr pro Tag bedeuten - bis hin zur Inkontinenz. Für 85 Prozent sind Bauchschmerzen wiederkehrende oder ständige Begleiter.

CED bedeuten neben der unmittelbaren Beeinträchtigung auch ein stark erhöhtes Operationsrisiko, das Risiko für Dickdarmkrebs ist bei CED, vor allem bei nicht ausreichender Behandlung, bis zu zehnfach erhöht. CED haben aber auch psychosoziale und wirtschaftliche Konsequenzen. Prof. Renner: "Es werden häufig Freizeitaktivitäten reduziert, oft gehen die Betroffenen nur außer Haus, wenn sie wissen, dass sie rasch eine Toilette erreichen können - viele kennen die Städte zunächst nach der Erreichbarkeit öffentlich zugänglicher Toiletten. Dies kann zu einem Verlust des Freundeskreises, zu sozialem Rückzug bis hin zu totaler Isolation und dem Auftreten von Depressionen führen. Oft kommt es durch häufige Krankenstände zu Problemen am Arbeitsplatz bis hin zum Jobverlust."

Fortschritte in der Medizin

Moderne Behandlungsstrategien durch speziell geschulte und erfahrene Gastroenterolog/-innen, eingebunden in ein interdisziplinäres Team (Chirurgie, Psychologie, Diätologie, etc.), ermöglichen es zwar nicht, diese Erkrankungen zu heilen, aber zumindest so weit zu behandeln, dass die Betroffenen ein weitgehend symptomfreies, selbstbestimmtes Leben führen können. Prof. Renner: "So können etwa moderne Medikamente und insbesondere sog. Biologicals durch zielgerichtete Neutralisierung von Entzündungs-auslösenden Botenstoffen eine akzeptable Lebensqualität herbeiführen, vielfach eine Dickdarm-Entfernung vermeiden und den Patienten ein Leben ohne künstlichen Darmausgang ermöglichen. Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren noch weitere derartige Medikamente entwickelt werden, mit denen diese Krankheiten noch besser in den Griff zu bekommen sind."

Frühe Diagnose und kompetente medikamentöse Therapie mit Biologika verbessern Prognose

Für CED stehen seit etwa zehn Jahren innovative Medikamente vom Typ der TNF-alpha Blocker zur Verfügung. "Patienten mit CED unter Therapie mit TNF-alpha Blockern, in Österreich sind derzeit die Präparate Infliximab und Adalimumab zugelassen, weisen meist eine rasche Besserung der Beschwerden, eine Abheilung der Entzündung im Darm und eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit auf", erklärt Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Knoflach (Stellvertretender Präsident der ÖGGH, Interne Abteilung I, Klinikum Wels-Grieskirchen). "TNF-alpha Blocker greifen direkt in die Entzündungskaskade ein und behandeln daher die Krankheit an der Wurzel. Eine vollständige Heilung ist mit diesen Medikamenten nicht möglich, aber man kann die Krankheit so gut in den Griff bekommen, dass die Patienten ein normales, beschwerdefreies Leben führen können."

Da diese Medikamente teuer sind, werden sie vor allem bei Menschen eingesetzt, bei denen die Krankheit einen besonders schweren Verlauf nimmt. Prof. Knoflach: "Das sind ca. fünf bis zehn Prozent der Patienten. Oder bei Patienten, bei denen andere Arzneimittel keine Wirkung zeigen. Infliximab wurde als erstes Medikament als "Second line Therapie" zugelassen, d. h. es darf bereits bei CED-Patienten eingesetzt werden, bei denen die Therapie mit Kortison nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. Die Therapie mit Infliximab führt bei einem Teil der Patienten sogar zur vollständigen Abheilung der Schleimhautentzündung. Infliximab und Adalimumab sind für die Behandlung des Morbus Crohn verfügbar, Infliximab ist darüber hinaus für die Colitis ulcerosa und den Morbus Crohn bei Kindern zugelassen."

SONIC Studie - neue Ergebnisse von der Digestive Disease Week in Chicago

Wie wichtig es ist, diese Medikamente bereits am Beginn der Erkrankung einzusetzen, und nicht erst, wenn die Patienten "austherapiert" sind, zeigen die Ergebnisse der SONIC Studie, deren Ein-Jahres-Daten letzte Woche auf der Digestive Disease Week in Chicago präsentiert wurden. Prof. Knoflach: "Hier wurden Patienten, die erst zwei Jahre an Morbus Crohn litten, entweder mit der Standard-Immunsuppression mit Azathioprin oder Infliximab oder mit einer Kombination beider Medikamente behandelt. Mit Infliximab behandelte Patienten erreichen signifikant häufiger eine Steroid-freie Abnahme von Krankheitssymptomen ("Remission") - den primäreren Endpunkt der Studie - sowie eine signifikant häufigere vollständige Abheilung der Schleimhaut als Patienten, die mit Azathioprin alleine behandelt wurden. Noch besser schnitt die Kombination aus den beiden Medikamenten ab."

Therapie und Herausforderungen: "Hit hard and early" - CED Spezialambulanz

"Der frühzeitige Einsatz von wirksamen Therapieformen kann das Ansprechen auf die Therapie und den Verlauf der Erkrankung wesentlich verbessern", so OA Dr. Harry Fuchssteiner (Krankenhaus der Elisabethinen Linz). "Es ist daher entscheidend, möglichst frühzeitig im Verlauf dieser Erkrankungen mit sehr effizienten Therapieformen zu behandeln: "Hit hard and early.""

Moderne Behandlungsstrategien bauen auf klaren diagnostischen und klinischen Fakten der Lokalisation und Ausdehnung der Erkrankung im Verdauungstrakt sowie der quantifizierten Krankheitsaktivität auf. "Sowohl die Diagnosemethoden (sanfte Endoskopien des oberen und unteren Verdauungstraktes, Ultraschall-Diagnostik, Dünndarmdiagnostik mit Kapselendoskopie und speziellen Dünndarmendoskopen, Magnetresonanztomographie des Verdauungstraktes) wie der Umgang mit seltenen, aber potenziell gefährlichen Nebenwirkungen von Immunsuppressiva und Biologika erfordern heute eine Betreuung in einer CED-Spezialambulanz", erklärt Dr. Fuchssteiner. "Dabei ist ein funktionierendes Netzwerk zwischen Spezialambulanz und Ärzten für Allgemeinmedizin für die frühzeitige (CED-Check) und patientengerechte Betreuung sehr bedeutsam." Im Verlauf der CED können Komplikationen der Erkrankung Operationen erfordern. Dr. Fuchssteiner: "Ein modernes interdisziplinäres Betreuungskonzept bestehend aus Gastroenterologen, Viszeralchirurgen, Diätologen und spezialisiertem Pflegepersonal (IBD-Nurse) kann diesen speziellen Krankheitsproblemen am besten Rechnung tragen (Modell: viszeralmedizinische Station und Ambulanz)."

Die größte Herausforderung bestehe "in der Entwicklung einer Therapie der Krankheitsursache, über die wir bislang noch nicht verfügen. Weiters wäre eine maßgeschneiderte Therapie je nach individuell ermitteltem Risiko- und Prognose-Profil ein wesentlicher Schritt in eine individuell differenzierte Behandlung." Das derzeitige medikamentöse Therapiekonzept besteht im Wesentlichen in einer Hemmung einer überschüssigen Entzündung und deren Entzündungsbotenstoffe (durch ein verändertes Immunsystem des Darmes). Ein mehr regulierendes Eingreifen in das Immunsystem des Darmes, wie dies bei der Hyposensibilisierung von Allergien erfolgt, wäre ein anderer Therapieansatz."

Leben mit Morbus Crohn - Unterstützung durch die Selbsthilfevereinigung ÖMCCV

CED, so Dr. Fuchssteiner, bewirken für die Menschen häufig auch psychosoziale Belastungen. Das "mit der Erkrankung Leben lernen" und individuelle Bewältigungsstrategien dafür zu entwickeln kann durch Selbsthilfegruppen und psychologische Betreuung wesentlich unterstützt werden und sollte Teil eines modernen Behandlungskonzeptes sein.

"Die ÖMCCV ist eine österreichweite Selbsthilfegruppe mit einem Büro in Wien und Zweigstellen in allen Bundesländern", so Elisabeth Fiedler (2. Vize-Präsidentin und Gründungsmitglied der Österreichischen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa Vereinigung, ÖMCCV). "Die ÖMCCV bietet Betroffenen neben Kontaktmöglichkeiten in Form von Einzelberatungen, Diskussionsrunden, Fachvorträgen, usw. auch Serviceleistungen wie den Medical Passport oder die Solidaritätskarte, die Patienten den raschen Zugang zu einer Toilette ermöglichen soll." Die ÖMCCV ist Gründungsmitglied der European Federation of Crohn's and Ulcerative Colitis Associations.

"Die Arbeit von Selbsthilfegruppen und anderen NGOs wird nur selten gewürdigt und öffentlich zur Kenntnis genommen. Es ist aber nicht selbstverständlich, dass Menschen, die selbst krank sind, ihre karge Freizeit opfern und für andere arbeiten", so Elisabeth Fiedler. Daher möchten wir, dass unsere Arbeit von der öffentlichen Hand mehr unterstützt und subventioniert wird. Denn es ist harte Arbeit, die der Gesellschaft zu Gute kommt."

CED-Check: Antworten auf 10 einfache Fragen geben Aufschluss über das Erkrankungs-Risiko

1. Besteht/bestand länger als vier Wochen Durchfall (= mehr als drei flüssige Stühle pro Tag)
1. oder wiederholte Episoden von Durchfällen?

2. Bestehen/bestand länger als vier Wochen Bauchschmerzen oder wieder-holte Episoden
2. von Bauchschmerzen?

3. Besteht/bestand regelmäßig oder wiederholt über mehr als vier Wochen Blut im Stuhl?

4. Bestehen/bestanden nächtliche Bauchbeschwerden wie Bauchschmerz oder Durchfall?

5. Besteht/bestand regelmäßig oder wiederholt über mehr als vier Wochen schmerzhafter Stuhldrang?

6. Bestehen/bestanden Fisteln oder Abszesse im Analbereich?

7. Besteht/bestand allgemeines Krankheitsgefühl, Schwäche oder Gewichtsverlust?

8. Bestehen/bestanden Beschwerden außerhalb des Magen-Darm-Traktes wie Gelenksschmerzen,
8. Augenentzündungen oder spezifische Hautveränderungen (z.B. mehrere unscharf begrenzte Flecken
8. bzw. Knötchen unter der Haut, die leicht erhaben und sehr druckempfindlich sind)?

9. Existiert in der Familie ein Hinweis auf Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa?

10. Können andere Ursachen einer Durchfalls-Erkrankung ausgeschlossen werden, z. B. Fernreisen,
10. Infektionen, Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten, Medikamenteneinnahme wie NSAR (Antirheumatika)
10. oder Antibiotika?

Wird eine der Fragen 1. bis 8. mit "Ja" beantwortet, bedarf es einer ärztlichen Abklärung.
Wird zusätzlich die Frage 9. und/oder 10. mit "Ja" beantwortet, kann das den Hinweis auf CED erhärten.


Quelle:
B&K


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