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Volkskrankheit Osteoporose
Ev
Unterdiagnostiziert, unterbehandelt ? Experten fordern frühere Diagnose und Therapie
(07.06.2009, Rheuma-Selbst-Hilfe.at.com)
Nicht einmal knapp ein Viertel der Menschen, die an Osteoporose leiden, erhalten eine angemessene Therapie, kritisieren Experten beim aktuellen Europäischen Orthopädiekongress (EFORT), der von 3. bis 6. Juni 2009 in Wien mehr als 8.000 Spezialisten zusammenführt. Bessere Früherkennung von Risikopatienten und ein frühes Einsetzen von Therapien sind wichtige Maßnahmen im Kampf gegen die Volkskrankheit, die auch die europäischen Volkswirtschaften massiv belastet.
"Mit dem kontinuierlichen Anstieg des Durchschnittsalters steigt in der Europäischen Union auch die Häufigkeit der Osteoporose kontinuierlich an, was für betroffene Individuen und die Solidargemeinschaft zu einem bedeutsamen Problem wird", betonte Prof. Dr. Wolfhart Puhl, Past President der European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) vom Orthopädikum Allgäu, D, heute beim Europäischen Orthopädiekongress in Wien. "Die Dimension wird häufig unterschätzt und von Politik und Kostenträgern nicht ausreichend in die Planung mit einbezogen."
Zu diesem wissenschaftlichen Großereignis treffen von 3. bis 6. Juni 2009 mehr als 8.000 Teilnehmer aus aller Welt in der österreichischen Bundeshauptstadt zusammen. Internationale Experten präsentieren aktuelle Trends und wesentliche Entwicklungen aus allen Bereichen der Orthopädie - von der Grundlagenforschung bis hin zur Prävention, Behandlung und Rehabilitation.
"Orthopäden und orthopädische Chirurgen spielen eine besonders wichtige Rolle in der Diagnose und Behandlung der Osteoporose", so Prof. Puhl. "Häufig ist ein Knochenbruch der erste Hinweis auf diese Erkrankung, somit können wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Betroffene auf den richtigen Behandlungspfad zu bringen."
Schenkelhalsfrakturen so tödlich wie Brustkrebs - Nur ein Viertel der Betroffenen adäquat behandelt
Dass sich die Orthopädie-Spezialisten auf ihrem Kongress in Wien mit dem Thema Osteoporose beschäftigen, ist nicht nur von medizinischer, sondern auch von großer gesundheitspolitischer Relevanz: Schließlich hat sich das Problem der altersbedingt abnehmenden Knochendichte mit dem hohen Risiko, dass es schon aus nichtigem Anlass zu Knochenbrüchen kommt, in Europa zur regelrechten Volkskrankheit entwickelt, wie Experten auf dem EFORT-Kongress zeigen: Statistisch gesehen hat heute eine 50jährige Europäerin ein gleich großes Risiko, an Brustkrebs oder an einem Oberschenkelhalsbruch zu versterben. Allein in Deutschland leiden dem EU-Osteoporosebericht 2008 zufolge bereits rund acht Millionen Menschen an Osteoporose, EU-weit gehen die Experten von fast 48 Millionen Betroffenen aus - und die Häufigkeit nimmt schon aufgrund der demographischen Entwicklung weiter zu.
Besonders problematisch, so Prof. Puhl beim EFORT-Kongress in Wien: "Nur knapp die Hälfte der Erkrankten wird überhaupt korrekt diagnostiziert, und nicht einmal ein Viertel von ihnen bekommt eine sachgerechte Therapie." Die Folgen sind dramatisch: In Deutschland allein sind jährlich 120.000 Schenkelhalsfrakturen aufgrund von Osteoporose zu verzeichnen, EU-weit sind es mehr als eine Million.
Hier bestehe also noch Verbesserungsbedarf - nicht zuletzt in der ärztlichen Fortbildung, so Prof. Puhl. Dies sei mit ein Grund, warum der Kongress in Wien das Thema Osteoporose auf die Tagesordnung mehrerer Symposien gesetzt hat.
Die große Verbreitung der Osteoporose verursacht nicht nur viel menschliches Leid, sondern auch enorme volkswirtschaftliche Kosten: Allein in Deutschland belasten die Folgekosten der Erkrankung die Gesundheitsbudgets mit rund vier Milliarden Euro, einschlägige Zahlen für Europa sind nicht bekannt. "Hier ist es eine wichtige Aufgabe für uns Mediziner, für verlässliche Daten zu sorgen, die der Politik bei der Planung helfen", so Prof. Puhl. "Über die EFORT-Region Europa hinaus ist die Zunahme der Zahl von Osteoporose-Erkrankten auch ein globales Problem, welches entsprechend nach globalen Lösungen verlangt."
Früherkennung besonders wichtig - Alters-Frakturen brauchen spezielles Management
Schon deshalb sei es fehl am Platz, in Sachen Osteoporose am falschen Ort zu sparen, warnt Prof. Puhl. Im Gegenteil, es müsse in spezialisiertes Patientenmanagement investiert werden - und dies möglichst in ganz Europa. "Es sollte keinesfalls vom Wohnort abhängen, ob Osteoporose-Patienten besser oder schlechter versorgt werden", kritisiert der Experte.
Schon bei der Früherkennung gäbe es massive Defizite: In einer Reihe von europäischen Ländern würde die Möglichkeit der Knochendichtemessung immer noch sehr selten eingesetzt - dies vor allem aufgrund fehlender Kostenerstattung.
Knochenbrüche bei Osteoporose-Patienten brauchen ganz andere Behandlungsansätze als Frakturen bei jüngeren, gesunden Menschen, betont Prof. Puhl: "Die Knochen sind poröser, die Betroffenen leiden an vielen verschiedenen Erkrankungen. Wichtig ist hier etwa, dass die Fraktur möglichst rasch operativ versorgt wird und die Patienten nach dem chirurgischen Eingriff auch wieder möglichst rasch auf die Beine kommen." Eine interdisziplinäre Betreuung - unter anderem unter Einbeziehung von geriatrischen Spezialisten - sei hier von besonderer Bedeutung, so Prof. Puhl.
Neuer Ansatz: Unzementierte Prothesen auch bei Osteoporose
Eine Rolle in der Behandlung von Osteoporose-Frakturen spielen auch Besonderheiten der Knochenheilung. "Im osteoporotischen Knochen kann man natürlich nicht den gleichen Heilungsverlauf erwarten wie im gesunden, das ist auch wichtig für die Frage, ob und welche Implantate im Bedarfsfall gesetzt werden." Hier gibt es neue Ansätze, die auf dem EFORT-Kongress diskutiert werden. Galt bisher bei älteren Patienten der Einsatz von Knochenzement als Standard, so zeigen beim Kongress Forschergruppen neue Daten, denen zufolge Endoprothesen auch ohne Zement-Fixierung im osteoporotischen Knochen gut verankerbar sind.
Biomechanik: Besseres Verständnis als Basis für neue Therapien
Neuigkeiten präsentieren Forscher beim EFORT-Kongress auch zum Thema Biomechanik der Knochen. Mit diesem Begriff beschreiben Experten jene ständigen Anpassungsprozesse, die der Knochen- und Bindegewebsapparat vornimmt, um auf Anforderungen von außen wie Körpergewicht oder Bewegung zu reagieren. "Wir können heute die Biomechanik der kleinsten Knochentrabekel immer besser verstehen. Das könnte uns auf den Weg von neuen Therapien führen, die Knochenheilung und Knochenwachstum fördern", erklärt Prof. Puhl. Knochentrabekel sind kleine Bälkchen aus Knochengewebe, aus denen der schwammartige Innenraum der Knochen aufgebaut ist.
Ein Forschungsansatz besteht etwa darin, die molekularen und zellulären Mechanismen der gestörten Knochenheilung zu erfassen. Mit diesem zusätzlichen Wissen sollen neue therapeutische Möglichkeiten und Strategien entwickelt werden, mit denen sich die Heilung beschleunigen und die Stabilisierung des Knochens operativ verbessern lässt. Einen anderen Ansatz verfolgt eine Forschergruppe aus Ulm: Wer sich bewegt, regt den Aufbau von Knochengewebe an. Die Wissenschafter wollen herausfinden, wie genau der Bewegungsreiz in der Zelle aufgenommen und in einen Befehl zum Zellwachstum umgewandelt wird. Langfristiges Ziel dabei ist es, diesen Befehl statt durch Bewegung zum Beispiel durch ein Medikament auslösen zu können.
"Osteoporose bleibt schon wegen ihrer zunehmenden Bedeutung ein wichtiges Thema auf der EFORT-Agenda", betont Prof. Puhl. "Für den nächsten Kongress in Madrid 2010 planen wir gemeinsam mit Patientenorganisationen auch eine Debatte mit politischen Entscheidungsträgern auf europäischer Ebene. Denn die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Politik für diese Erkrankung ist entscheidend, damit Betroffene endlich dem medizinischen Wissen angemessen versorgt werden."
Quelle:
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