Europäischer Orthopädiekongress 2009

07.06.2009 00:00
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Highlights der orthopädischen Schmerzforschung


(07.06.2009, Rheuma-Selbst-Hilfe.at.com)


Beschwerden des Bewegungsapparates gehören zu den häufigsten schmerzhaften Gesundheitsproblemen. Etwa 50 Prozent der Bevölkerung berichten bei Umfragen, dass sie im vergangenen Monat muskuloskeletale Schmerzen in einem oder mehreren Bereichen über mindestens eine Woche hatten. Musculoskeletale Beschwerden sind die am weitesten verbreitete arbeitsbezogenen Beschwerden in der EU: 25 Prozent der europäischen Arbeitnehmer klagen über Rückenschmerzen, 23 Prozent über Muskelschmerzen. Dieser Trend wird sich in einer älter werdenden Gesellschaft weiter verschärfen.

Der Schmerz ist deshalb eines der Schwerpunktthemen des 10. EFORT-Kongresses, der von 3. bis 6. Juni in Wien stattfindet und von der European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology veranstaltet wird. Im Folgenden einige Highlights der orthopädischen Schmerzforschung, die auf dem Kongress präsentiert werden.

Schulter-Operationen: Mehr Aufmerksamkeit auf die Lebensqualität

"Die Lebensqualität beeinflussende Faktoren sollten bei der Planung von chirurgischen Strategien bei unterschiedlichen Schulterproblemen verstärkt berücksichtigt werden", sagt Dr. Joan Miquel aus Barcelona (Spanien). "Alter, Geschlecht und die Ursachen der Schulterprobleme beeinflussen unterschiedliche Wahrnehmungen der eigenen Lebensqualität, und zwar unabhängig von der Funktionsfähigkeit der Schulter."

Das Motiv für die Untersuchung an 134 Patienten, so Dr. Miquel, war es, die Lebensqualität von Patienten mit unterschiedlichen Schulterproblemen zu untersuchen, und dabei herauszufinden, inwieweit Schmerzen und Beweglichkeit die Lebensqualität beeinflussen. Die heute üblichen Behandlungsstrategien bei Schulter-Problemen konzentrieren sich auf die Schmerzlinderung, so Dr. Miquel, allerdings fehle bisher der Nachweis, dass Schmerzen tatsächlich der Faktor sind, der Patienten am meisten belastet.

Die Studienergebnisse von Dr. Miquel zeigten statistisch signifikante Unterschiede je nach Alter, Geschlecht und Diagnose. Patienten mit mehr als 65 Jahren gaben eine signifikant schlechtere Lebensqualität an, ebenso Frauen und Patienten mit degenerativen Beschwerden.

Ein Zusammenhang (linearer Trend) zwischen Beweglichkeit und Lebensqualität konnte belegt werden. Bei Patienten mit guter Beweglichkeit beeinflussten Änderungen in der Schmerzwahrnehmung die Lebensqualität signifikant, während Änderungen in der Schmerzwahrnehmung die Lebensqualität von Menschen mit eingeschränkter Beweglichkeit kaum beeinflussten. Beobachtet wurde ein dominierender Effekt der externen Rotation auf die Lebensqualität, also der Rotation entfernt vom Zentrum des Körpers.

Schmerz in Ruhe, bei Bewegung und in der Nacht - Muss alles gemessen werden!

Über eines der wichtigsten Symptome bei Erkrankungen des Bewegungsapparates kann nur der Patient selbst Auskunft geben: den Schmerz. Um die Schmerzsituation zu erheben wird häufig ein "Pationnaire" eingesetzt - ein einfacher Fragebogen. Dieser ermöglicht eine objektive Einschätzung des Ruheschmerzes, des Schmerzes bei Bewegung und des Nachtschmerzes. Anschließend wird ein Gesamtscore gebildet. Aber ist das wirklich nötig?

Auch dazu gibt es nun neue Erkenntnisse, die auf dem EFORT-Kongress präsentiert werden. Dr. Jörg Huber (Schweiz) erhob die Schmerzen von Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen des Bewegungsapparates und wertete insgesamt über 1.000 Fragebögen aus. Dabei zeigte sich, dass das Ausmaß der Schmerzen in Ruhe in hohem Maß mit den Schmerzen während der Nacht korreliert. Dr. Huber folgert daraus, dass diese beiden Schmerzarten mit einer einzigen Frage abgedeckt werden können: "Es würde also ausreichen, nur den Schmerz bei Bewegung und den Schmerz in Ruhe/in der Nacht abzufragen und zu dokumentieren, das würde die klinische Erhebung vereinfachen."

Aufnahme in Notfallchirurgie: Bei jedem 5. Patienten werden bisher eingenommene Medikamente übersehen

Bei der Aufnahme in die Notfallchirurgie muss der individuellen Medikamenteneinnahme der Patienten mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Bei der Präsentation der Studie "Fehler bei der Verordnung regelmäßig eingenommener Medikamente bei der Aufnahme in die Notfallchirurgie", kritisierte Dr. Amit Sharma (Luton & Dunstable Hospital, UK): "Die Ergebnisse unserer Untersuchung waren überraschend und alarmierend. In einem Fünftel der Fälle verordnete der einweisende Arzt zumindest ein regelmäßig eingenommenes Medikament nicht. Das kann für Patienten potenziell lebensbedrohlich sein und ernste rechtliche Konsequenzen haben."

Die Untersuchungs-Daten stammten von sämtlichen chirurgischen Notaufnahmen über den Zeitraum eines Monats. Am Morgen nach der Notaufnahme wurde jeweils überprüft, welche Medikamente einem Patienten verordnet worden waren. War ein Patient nicht in der Lage, diese Information zu liefern, wurde die Medikamenten-Liste vom Hausarzt erfragt. Insgesamt wurden 71 Notaufnahmen untersucht, 58 Prozent wurden von der Unfall- und Notfallabteilung überwiesen, 34 Prozent vom niedergelassenen behandelnden Allgemeinmediziner, ein kleiner Prozentsatz von anderen Stellen des Krankenhauses. Von den untersuchten 71 Patienten nahmen 46 Patienten mindestens ein Medikament regelmäßig ein.

Dr. Sharma: "Von den insgesamt 71 untersuchten Notaufnahmen waren 21 Prozent fehlerhaft, also zumindest ein regelmäßig eingenommenes Medikament wurde bei der Aufnahme nicht verordnet. Bei der Analyse der Ko-Morbiditäten der einzelnen Patienten zeigte sich: 42 Prozent der Medikamente gegen ischämische Herzkrankheiten wurden Patienten, die diese benötigen waren, nicht verordnet; 33 Prozent der Medikamente gegen Bluthochdruck und Diabetes; 50 Prozent der Asthma-Medikamente und Psychopharmaka, und 29 Prozent der Medikamente für weniger ernsthafte Erkrankungen." Von den Aufnahmen mit fehlerhafter Medikamentenverordnung wurden 81 Prozent von der Unfall- und Notfallabteilung überstellt, 15 Prozent vom niedergelassenen behandelnden Arzt.

Gespräche mit dem Arzt reduzieren Schmerzen und verbessern Schulter-Funktion

Neue Untersuchungsergebnisse zum Einfluss der Arzt-Patient-Kommunikation zeigen, dass Patienten mit Schulter-Problemen nach einem Gespräch mit dem Arzt signifikant weniger Schmerzen verspüren. Patienten nach einer Schulteroperation gaben nach einem Arzt-Patient-Gespräch eine signifikant bessere Schulterfunktion und geringere Schmerzen an. Das sind die Ergebnisse einer von Dr. Carlos Torrens (Barcelona, Spanien) präsentierten Untersuchung über "Veränderungen in der Patienten-Selbsteinschätzung von Schmerz, Funktion und Zufriedenheit vor und nach dem Arztgespräch." Die Studie schloss 95 Patienten mit unterschiedlichen Schulterproblemen ein, fast jeder zweite hatte eine Operation hinter sich.

Die Studie sollte analysieren, wie sich ein Arzt-Patient-Gespräch auf die Einschätzung des Patienten seiner Schmerzen, der Schulterfunktion und seiner Zufriedenheit mit der Behandlungsmethode auswirkte. Die Patienten wurden gebeten, vor und nach dem Arztgespräch drei Einschätzungen auf entsprechenden Skalen vorzunehmen. Solche Fragebögen werden routinemäßig eingesetzt, um die Patienten-Einschätzung der gewählten Behandlungsmethode zu dokumentieren.

Die Analyse der Ergebnisse zeigte signifikante Unterschiede im Schmerzempfinden in der Schulter vor und nach dem Arztgespräch. Die Unterschiede in der Einschätzung der Schulterfunktion vor und nach dem Arztbesuch waren marginal signifikant, und es zeigten sich keine Unterschiede in der Zufriedenheit mit der Behandlungsmethode.

Wurde die Untergruppe der Patienten, die eine Operation hinter sich hatten, getrennt analysiert, zeigten sich signifikante Unterschiede in der Selbsteinschätzung von Schmerz und Funktion vor und nach dem Arztgespräch, jedoch keine Unterschiede bei der Zufriedenheit mit der gewählten Behandlung. Frauen verspürten nach dem Arztgespräch signifikant weniger Schmerzen als Männer, keine Unterschiede zeigten sich bezüglich Alter, Diagnose und der Zeit, die seit der Operation vergangen war. Dr. Torrens Schlussfolgerung: "Bei der Vorbereitung einer Patienten-Selbsteinschätzung von Schmerz und Funktion muss die Auswirkung des Arzt-Patient-Gesprächs berücksichtigt werden, um die Ergebnisse nicht zu verzerren."

Britische Schmerzforscher: "Wir brauchen bessere schmerztherapeutische Strategien für Hüft-Operationen."

Britische Schmerzforscher, die bei 71 Patienten nach Hüft-Arthroskopien das Schmerzmanagement untersucht haben, fordern die Entwicklung besserer schmerztherapeutischer Strategien.

Der Hintergrund: Bei Hüft-Arthroskopien ("Schlüsselloch-Chirurgie") wird zur post-operativen Schmerzkontrolle häufig ein Depot mit einem Lokalanästhetikum in den Gelenkspalt gespritzt ("intra-artikulär"), zusätzlich können Opioid-Schmerzmittel oder oral einzunehmende Schmerzmedikamente gegeben werden. Weil bekannt ist, dass bei längerem Einsatz von lokal wirksamen Schmerzmitteln das Problem der Knorpel-Toxizität bestehen kann, haben Dr. Jonathan Robert Bunn (Craigavon Area Hospital, Northern Ireland, UK) und sein Team die Wirksamkeit von drei schmerztherapeutischen Optionen nach Hüft-Arthroskopie untersucht. Im Besonderen wollten sie herausfinden, ob intra-artikuläre Lokalanästhetika Vorteile bringen. Dr. Bunn: "Es gibt keine früheren Studien, die sich mit dem postoperativen Schmerzmanagement von Hüft-Arthroskopien beschäftigen."

71 Patienten erhielten eine von drei schmerzlindernden Optionen: Gruppe A bekam das Lokalanästhetikum Bupivacain 0,25 Prozent 10ml intra-artikulär und 20ml Haut-Infiltrationen; Gruppe B bekam nur Bupivacain 0,25 Prozent 20ml Haut-Infiltrationen, und Gruppe C bekam keine Infiltration. Das Ergebnis wurde mittels Visueller Analog-Skala (VAS) unmittelbar nach der Operation, nach einer Stunde, nach zwei und nach vier Stunden gemessen. Außerdem wurde der Konsum von Opioid-Schmerzmitteln dokumentiert.

Das Ergebnis: Dr. Bunn beobachtete signifikant weniger postoperativen Schmerz in Gruppe A (Bupivacain intra-artikulär und Hautinfiltration), im Vergleich mit Gruppe C (keine Infiltration) unmittelbar nach der Operation und eine Stunde danach, und im Vergleich mit Gruppe B (Bupivacain Hautinfiltration) zwei und vier Stunden nach der Operation. Es gab zu keinem Zeitpunkt signifikante Unterschiede bei den VAS-Ergebnissen der Gruppen B und C. Gruppe A konsumierte im Vergleich mit den Gruppen B und C signifikant weniger Opioid-Schmerzmedikamente nach der Operation, es gab jedoch keinen signifikanten Unterschied im Opioid-Konsum zwischen Gruppe B und Gruppe C.

Dr. Bunn: "Intra-artikulär gegebene Lokalanästhetika verringern signifikant den postoperativen Schmerz, aber mit welchem hohen Preis für die Knorpeloberfläche? Lokale Haut-Infiltrationen verändern weder den Schmerzlevel noch den Opioid-Konsum signifikant. Setzt man keine intra-artikulären Lokalanästhetika ein, steigt der Opioid-Bedarf. Wir brauchen also bessere schmerztherapeutische Strategien."

Abstracts:

EFORT 2009 Abstract: Sharma A et al, Errors in prescription of regular medication in emergency surgical admissions-clinical audit.

EFORT 2009 Abstract: Torrens C et al, Change in patient self-evaluation of pain, function and satisfaction before and after clinical visit.


Quelle:
B&K

EFORT 2009 Abstract: Miquel J et al, Influence of pain and mobility in quality of life perception in shoulder disorders.

EFORT 2009 Abstract: Huber J et al, Assesment of pain during activity, at rest and at night - do we have to assess all three different pains?

EFORT 2009 Abstract: Bunn J et al, The efficacy of post-operative regimes following hip arthroscopy.


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