Highlights der 17. Wissenschaftlichen Tagung der Österreichischen Schmerz-Gesellschaft

27.05.2009 05:40 (zuletzt bearbeitet: 27.05.2009 06:00)
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"Die schmerztherapeutische Realität ist in Österreich nach wie vor sehr ernüchternd", so Prim. Priv. Doz. Dr. Christian Lampl (Abteilung für Allgemeine Neurologie und Schmerzmedizin, Konventhospital der Barmherzigen Brüder, Linz), Tagungspräsident der 17. Wissenschaftlichen Tagung der ÖSG, die von 21. bis 23. Mai in Linz stattfand


(27.05.2009, Rheuma-Selbst-Hilfe.at.com)


Dazu einige Zahlen:

· Generell beantworten heute in Österreich 23% der Befragten die Frage "Leiden Sie selbst über 3 oder mehr
. Monate hinweg an chronischen Schmerzen" mit "Ja".

· Schmerz ist das bei alten Menschen am häufigsten berichtete Symptom, laut einer Erhebung in mehreren
. europäischen Ländern sind mehr als 50% der zu Hause Lebenden davon betroffen, und
. mehr als 80% der Menschen in Pflegeheimen.

· In der Gruppe der über 50jährigen haben bereits 43% chronische Schmerzen. Bei den Über-65-Jährigen
. sind mehr als 50% davon betroffen, von den Über 74-Jährigen 75%.

"Solche Zahlen zeigen, dass es trotz aller Fortschritte bei den Methoden der modernen Schmerzmedizin
noch viel zu tun gibt", so Prim. Lampl. "Wir haben daher ein breites Spektrum therapeutischer Möglichkeiten
und Themen gewählt, die in Linz präsentiert und diskutiert werden."

60- 90% der Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium haben mittlere bis starke Schmerzen

Prim. Lampl: "Untersuchungen zeigen, dass 60 bis 90 % aller Tumorpatienten im fortgeschrittenen Stadium mittlere bis starke Schmerzen haben. Zum Tumorschmerz kommen auch noch andere Symptome wie Angst, Depression und Schlaflosigkeit, die das Schmerzerleben verstärken können." Schmerztherapie in der Onkologie erfordert eine individuelle Behandlung und eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Tumorerkrankten. Sind die tumorspezifischen Behandlungsoptionen wie chirurgische Versorgung, Strahlen- und Chemotherapie ausgeschöpft, bleiben nur die pharmakologische Versorgung sowie psychologische Verfahren. "Auf der Jahrestagung sollen hier vor allem die Themen Schmerzfreiheit, Schmerzlinderung und Lebensqualität in den Vordergrund gestellt werden", so Prim. Lampl. "Eine wichtige Rolle spielen die minimalinvasiven Methoden, bei denen Schmerzmittel direkt in den Ursprungsort der Schmerzen oder Rückenmark-nahe injiziert werden."

Schmerzmittel machen Kopfschmerzen: 1% der Bevölkerung davon betroffen

"Ein zunehmend auftretendes Phänomen ist, dass Menschen zu viele Schmerzmittel einnehmen und durch diesen Schmerzmittelübergebrauch Kopfschmerzen (Medication Overuse Headache, MOH) bekommen", so Prim. Priv. Doz. Dr. Christian Lampl (Abteilung für Allgemeine Neurologie und Schmerzmedizin, Konventhospital der Barmherzigen Brüder). "Es ist davon auszugehen, dass bereits rund ein Prozent der Erwachsenen und 0,5 Prozent der Kinder an schmerzmittelinduziertem Kopfschmerz leiden - Österreich-weit wären das 80.000 Patienten. Frauen sind davon häufiger betroffen als Männer."

Immerhin ein Drittel aller Patienten mit chronischen täglichen Kopfschmerzen (Chronic Daily Headache, CDH) erfüllt die diagnostischen Kriterien des MOH, berichtet Dr. Gregor Brössner (Univ.-Klinik für Neurologie, Innsbruck) auf der am Wochenende zu Ende gegangenen 17. Wissenschaftliche Tagung der Österreichischen Schmerzgesellschaft in Linz: " Anhand einer großen Umfrage bei niedergelassen Praktikern sowie in spezialisierten Kopfschmerzambulanzen konnte gezeigt werden, dass MOH die dritthäufigst gestellte Diagnose nach Migräne und Spannungskopfschmerz ist."

Nahezu alle Schmerzmittel, so Dr. Brössner, können zu einem MOH führen. Der Zeitraum zwischen Ersteinnahme und Entwicklung eines MOH ist allerdings am ungünstigsten für spezifische Migränemedikamente wie Triptane (durchschnittlich 1,7 Jahre) und Ergotamine (durchschnittlich 2,7 Jahre) im Vergleich zu Schmerz- und Rheuma-Medikamenten vom Typ der NSAR mit 4,8 Jahren.

Die Frage, ob der Schmerzmittelübergebrauch Folge oder Ursache der Zunahme der Kopfschmerzfrequenz ist, wird immer noch kontrovers diskutiert. Dr. Brössner: "In einigen Studien konnte jedoch gezeigt werden, dass nach erfolgreicher Entzugsbehandlung, die Häufigkeit der Kopfschmerzen signifikant sinkt und sich letztendlich der ursprüngliche Charakter z.B. einer episodischen Migräne zurückbildet. Zumindest in diesen Fällen ist davon auszugehen, dass der Schmerzmittel-Missbrauch Ursache der Verschlechterung ist."
Diskutiert wird unter Medizinern auch, ob ein stationärer oder ein ambulanter Entzug erfolgreicher ist. Daten zur Rückfalls-Häufigkeit liegen in unterschiedlichen Studien zwischen 30-50 Prozent. Die Erfolgschancen hängen von verschiedenen, oftmals äußeren Faktoren, zusammen. Aber auch die Art des Schmerzmittels, welches zu häufig eingenommen wurde, bestimmt ob stationär oder ambulant behandelt wird, betont Prim. Lampl. Im Regelfall ist z.B. bei Mischpräparaten und Ergotaminen der stationäre Entzug anzuraten.
Dr. Brössner: "Schon allein die hohe Häufigkeit sowie der Leidensdruck der Patienten fordern ein therapeutisches Vorgehen gegen diese MOH. Eine Kombination aus Aufklärung der Patienten über MOH sowie koordinierte "evidence based medicine" angeleitete Entzugsbehandlung sollte angestrebt werden.

Neues Schmerzmedikament reguliert auch Darmtätigkeit

Die in der Schmerztherapie eingesetzten Opioide verursachen bei vielen Patienten Verstopfung. "Seit April gibt es in Österreich ein neues Medikament, ein Oxycodon/Naloxon-Präparat, bei dem in das Schmerzmedikament bereits ein Mittel gegen diese opioidinduzierte Obstipation integriert ist", so Prim. Lampl. "Auf der ÖSG-Jahrestagung wird über die ersten Erfahrungen damit berichtet."

Schmerz in der Neurologie

Neurologische Erkrankungen können entweder selbst Schmerzen auslösen oder durch die Erkrankung kann die Diagnose und Behandlung von Schmerzen erschwert werden. So leiden zum Beispiel sechs Prozent aller an Multipler Sklerose erkrankten Patienten zusätzlich an Schmerzen. Diese Schmerzen können direkt durch die Erkrankung verursacht sein wie z. B. durch Spasmen oder indirekt wie z. B. Druckläsionen bei Menschen die im Rollstuhl sitzen. Weiters können Schmerzen durch die Behandlung verursacht werden, so können z. B. nach dem Spritzen eines Interferonpräparates Reaktionen auftreten oder das zur Behandlung eingesetzte Medikament kann Kopfschmerzen verursachen.

Eine ähnliche Situation liegt bei Menschen nach einem Schlaganfall vor. Sie leiden häufig an einem Thalamusschmerz, einem brennenden Schmerz der direkt im Zentralnervensystem im Gehirn lokalisiert ist. Prim. Lampl: "Daher wird einer der Schwerpunkte der Tagung die Behandlung dieser neuropathischen Schmerzen sein."

Bessere Schmerzmessung bei dementen Patienten

Tagungsthema sind auch die Schmerzbehandlung und -erfassung bei dementen Patienten. Prim. Lampl: "Bei Personen, die sich nicht mehr gezielt äußern können, versagen oft die traditionell eingesetzten Methoden zur Schmerz-Erfassung und -Beurteilung. Neue Beobachtungs-Skalen sind hier wichtige Schritte in die Richtung höherer Sensibilität in der Schmerzmessung." Zum Beispiel BESD ("Beurteilung von Schmerz bei Demenz"), ein wenige Minuten dauernder Test. Oder die Doloplus-2-Skala, die auf der Beobachtung der Reaktion eines Patienten auf den Schmerz beruht. Diese Skala erfasst psychomotorische und psychosoziale Auswirkungen von Schmerzen, die Einschätzung der Schmerzauswirkungen erfolgt durch Arzt und Pflegeperson.

Problem der Mehrfachmedikation - Nicht jeder verträgt jedes Medikament

Mit dem Alter steigt die Krankheitshäufigkeit, und damit auch der Medikamentenkonsum. Daraus ergibt sich das Problem der Mehrfachmedikation ("Polypharmazie"), die Verabreichung von mindestens sechs unterschiedlichen Medikamenten pro Tag. Besonders davon betroffen sind gemäß einer aktuellen Untersuchung vor allem Frauen, Pflegebedürftige, Personen mit mehreren Erkrankungen und Personen, die mit mehreren Diagnosen aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Eine Folge davon: 20 bis 25% der 70- bis 80-Jährigen leiden an unerwünschten Nebenwirkungen, bei 10 bis 15% führen diese zu stationären Aufenthalten in Krankenhäusern. "Nicht selten wird der Teufelskreis an dieser Stelle fortgesetzt, indem zusätzliche Medikamente zur Unterdrückung dieser Nebenwirkungen eingesetzt werden, die ihrerseits wieder unberechenbare Wechselwirkungen entfalten können", so Prim. Lampl. "Nicht jedes Schmerzmedikament ist für jeden Patienten geeignet."

Herausforderung Schmerzbehandlung bei Kindern

Schmerzen bei Kindern sind schwierig zu behandeln, weil sie schwer messbar sind. Man kann ein dreijähriges Kind nicht fragen: Wie sieht der Schmerz auf einer visuellen Analogskala von 1 bis 10 aus? Hier arbeitet man mit anderen Techniken wie Smileys oder man lässt den Schmerz aufzeichnen.

Prim. Lampl: "Doch Kinder leiden nicht nur an körperlichen, sondern auch an seelischen Schmerzen. Diesen festzustellen und zu messen ist eine Herausforderung. Weitere Themen, die auf der Tagung präsentiert werden, sind die pädiatrische Palliativpflege und das Thema Schmerzen bei Kindern mit Mehrfachbehinderung."

Pflegesymposium: Zunehmend wichtige Rolle der Pflege in der Schmerzbehandlung

In die Tagung integriert findet auch das erste Pflegesymposium statt, bei dem die Rolle der Schmerztherapie in der Pflege dargestellt wird. "Die Pflege ist ein wichtiger Teil der Behandlung von Schmerzpatienten und daher ist auch eine besondere Schulung für Pflegepersonen notwendig", sagt Prim. Lampl." Das Pflegesymposium findet im Konventhospital der Barmherzigen Brüder statt, welches das Symposium auch sponsert.


Quelle:
B&K Bettschart&Kofler Medien- und Kommunikationsberatung

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