Neue Horizonte der Neuro-Rehabilitation: Bessere Erfolge durch High-Tech-Rehab

13.04.2009 03:18
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Hoffnung für Querschnitt-gelähmte; Umfrage: Auch Schwerstbehinderte können sich einer guten Lebensqualität erfreuen


(13.04.2009, Rheuma-Selbst-Hilfe.at.com)


"Der Bedarf an Neuro-Rehabilitation ist auch in Österreich stark im Steigen", so Prim. Dr. Manfred Freimüller (Medizinischer Direktor und Leiter der Abteilung für Neurologische Rehabilitation an der Gailtal-Klinik in Hermagor) auf einer Pressekonferenz im Vorfeld der 7. Jahrestagung der ÖGN (25. bis 28. März im Congress Center Villach). "Die Ursachen liegen einerseits darin, dass wir immer älter werden, andererseits in den Erfolgen der Akutmedizin, die heute vielen Menschen das Leben retten kann, die noch vor wenigen Jahren an Schlaganfall, Schädel/Hirn-Trauma oder Gehirnhautentzündung gestorben wären. Umso umfangreicher sind aber auch die Funktions-Beeinträchtigungen, mit denen wir in der Neuro-Rehabilitation befasst sind."

Die schädigenden Ursachen für diesen Bedarf sind zu rund 50 Prozent Schlaganfälle. Die verbleibende Hälfte entfällt auf unfallbedingte Schädel/Hirn-Verletzungen, entzündliche Erkrankungen (wie Multiple Sklerose, Zeckenenzephalitis, Herpesenzephalitis), Gehirntumore und degenerative Erkrankungen wie Parkinson Syndrome, Ataxien etc.

"Die Aufgabe der Neuro-Rehabilitation besteht darin, die Bewegungsfähigkeit, die Wahrnehmungsfähigkeit von vor allem taktilen Sinnesreizen und die Denk- sowie Merkfähigkeit von Patienten bestmöglich wiederherzustellen, nachdem diese durch ein neurologisches Trauma oder eine entzündliche Nervenerkrankung beeinträchtigt wurden", so Prim. Univ.-Prof. Dr. Heinrich Binder, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurorehabilitation (Vorstand des Neurologischen Zentrums des Sozialmedizinischen Zentrums Baumgartner Höhe Otto Wagner Spital, Wien). "Die Neuro-Rehabilitation ist eine unverzichtbare Ergänzung der Akutneurologie, indem sie jene Störungen zu beheben versucht, die nach lebensrettenden Akutinterventionen zurückbleiben."

Spektakuläre Fortschritte in allen wesentlichen Bereichen

Drei Aufgabenbereiche stehen dabei im Zentrum. Prim. Binder: "In allen dreien haben wir in den vergangenen fünf bis zehn Jahren spektakuläre Fortschritte erzielt, die auf einigen Feldern bereits zu konkreten neuen Behandlungsoptionen gereift sind."

1. Ein Ziel besteht schon lange darin, die Zerstörung oder den Verlust von Nervenzellen in Folge von Krankheiten oder Traumata wettzumachen. "Hier könnte die Entdeckung den Durchbruch bedeuten, dass in bestimmten Regionen des Nervensystems erwachsener Menschen Stammzellen eingelagert sind, die sich zu voll funktionsfähigen Nervenzellen entwickeln können", sagt Prim. Binder. "Zurzeit wird nach Möglichkeiten geforscht, um diese im Bedarfsfall gezielt zur Ausreifung zu stimulieren."

2. Während periphere Nervenbahnen gut regenerieren können, werden Nervenstränge im Rückenmark durch bestimmte Moleküle mit Hemmfunktion an der Regeneration gehindert, weshalb z.B. Querschnittslähmungen bisher irreparabel waren. Prim. Binder: "In jüngster Zeit ist es gelungen, einige dieser Regenerations-hemmenden Moleküle zu entlarven und mögliche pharmakologische Gegenstrategien zu entwickeln. Erste klinische Untersuchungen laufen vielversprechend."

3. Wenn Nervenzellen und deren Verbindungen intakt gehalten oder wiederhergestellt werden können, besteht der dritte Problemkomplex darin, ihre funktionelle Zusammenarbeit zu fördern bzw. wiederherzustellen. "Hier haben revolutionäre Erkenntnisse zu einem entscheidenden Paradigmenwechsel in der Neuro-Rehabilitation geführt", erklärt Prim. Binder. Wir wissen heute, dass Gehirn und Rückenmark holistisch organisiert sind: Das heißt, dass sich die "Zuständigkeit" für bestimmte Funktionen nicht auf ein einziges Zentrum beschränkt. Sondern in einem zumindest dreidimensionalen dynamischen Netzwerk auf das gesamte System verteilt ist, dessen Elemente sowohl untereinander als auch mit der Außenwelt ständig kommunizieren. Besonders für die Motorik bedeutsame Mosaiksteine dieses Netzwerks sind "Central Pattern Generators" (CPG): "Nervennetzwerke im Nervennetzwerk", die ohne sensorische Reize und ohne Feedback von außen wiederkehrende und rhythmische Bewegungsimpulse abgeben können. Prim. Binder: "Sie ermöglichen es, schon nach sehr kurzer Trainingszeit komplexe Bewegungsvorgänge wie Laufen oder Schwimmen neu zu erlernen, selbst wenn die dafür sensorischen Nerven dieser Körperregionen in ihrer Funktion beeinträchtigt sein sollten."

High-Tech-Rehab verbessert Erfolge:Laufbandtherapien, Brain-Computer-Interfaces, Robotics

Das Verständnis dieser Netzwerke hat zu einer Reihe neuer therapeutischer Ansätze wie pharmakologischer oder elektrischer bzw. elektromagnetischer Stimulation geführt. Durch spezielle Laufbandtherapien, den Einsatz von Robotics und die faszinierenden Errungenschaften von Brain-Computer-Interfaces konnten enorme Erfolge in der motorischen Rehabilitation erzielt werden. Brain-Computer-Interfaces sind Schnittstellen, die es erlauben, Prothesen oder Buchstabiermaschinen ohne Hilfe der Gliedmaßen direkt durch Gehirn- bzw. Gedankenaktivität zu steuern.

Prim. Binder: "Das bedeutet eine bessere und raschere Rückbildung von Lähmungen, eine Verbesserung der Feinmotorik, aber auch der Gehfähigkeit nach Schlaganfall oder bei Querschnittslähmung. Auch sprachliche Behinderungen und damit Kommunikation können durch elektromagnetische Stimulation und im Extremfall sogar durch Brain-Computer-Interfaces positiv beeinflusst werden. All diese Fortschritte verbessern nicht nur die Lebensqualität, sie entlasten auch das Gesundheits- und Sozialsystem, weil Besserungen rascher eintreten und mildere Behinderungen zurückbleiben."

Funktionen zurück gewinnen, Teilhabe am Arbeits- und Privatleben wiedererlangen.

In vielen Fällen bleiben aber lebenslange Behinderungen bestehen, mit denen die Betroffenen auch psychisch fertig werden müssen. Prim. Freimüller: "Daher gehören zu einer gelungenen Neuro-Rehabilitation nicht nur fundierte neurologische Kenntnisse und Erfahrungen, sondern auch ExpertInnen in Neuropsychologie und in Klinischer Psychologie sowie die in unterschiedlichsten Methoden und Techniken speziell geschulte TherapeutInnen und die fachspezifische Pflege."

Der Schlüssel für den Erfolg und damit auch für die zukünftige Lebensqualität der PatientInnen liegt aber in der Art, wie diese unterschiedlichen Fachrichtungen zusammenarbeiten. Prim. Freimüller: "Ein multidisziplinäres Nebeneinanderher, in dem jeder Arzt oder Therapeut nur seinem eigenen Plan folgt, bringt viel weniger als eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, in der die Fortschritte der PatientInnen gemeinsam besprochen und weitere Schritte gemeinsam entworfen werden. Unerlässlich ist dabei auch die Erhebung der Bedürfnisse der PatientInnen, die Vereinbarung von Behandlungszielen mit ihnen und die Erhebung ihrer subjektiven Zufriedenheit."

Umfrage: Auch Schwerstbehinderte können sich einer guten Lebensqualität erfreuen

Diese interdisziplinäre Neurorehabilitation führt zu Erfolgen, die Außenstehenden oft unvorstellbar scheinen. So ergab eine Umfrage über die subjektiv empfundene Lebensqualität auf einer Skala von -5 bis +5 im Durchschnitt der Normalbevölkerung einen Wert von +2,0 - +2,5. Bei sogenannten Locked-in-Patienten - Schwerstbehinderten, die nur noch die Augen bewegen können - führte eine bedürfnisorientierte Rehabilitation zu einer Lebensqualität von +1,9 im Schnitt, also kaum schlechter.

Solche Therapieprogramme sind aber nicht nur sehr kostspielig, weil sie größtenteils in 1:1-Settings, also Einzel- und nicht Gruppentherapien, umgesetzt werden müssen. Sie stellen auch für das gesamte Neurorehabilitationsteam eine große Herausforderung dar, weil die Beziehungen zu den PatientInnen oft sehr eng sind und auf unterschiedlichste Patientenbedürfnisse eingegangen werden muss. "Der große Erfolg ergibt sich aus der Summe vieler kleiner Fortschritte", sagt Prim. Freimüller.


Quelle:
B&K Bettschart&Kofler


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