Chronischer Schmerz 2009: Erster Österreichischer Patientenbericht

26.03.2009 01:09
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In Österreich leiden rund 1,7 Millionen Menschen an
Chronischen Schmerzen. Er gehört zu den häufigsten Ursachen für
Krankenstände, Berufsunfähigkeit und Frühpension. Migräne und Rheuma
peinigen die Betroffenen oft über Jahre hinweg. Der Erste
Österreichische Patientenbericht Chronischer Schmerz 2009 ist das
Ergebnis einer landesweiten Umfrage und spiegelt die aktuelle
Situation sowie die subjektiv empfundenen Bedürfnisse Chronischer
Schmerzpatienten im Umgang mit ihrer Erkrankung wider.





Wenn der Schmerz zur Krankheit wird: Chronischer Schmerz
Im Bild v.l.n.r. Prim. Univ. Prof. Dr. Michael Bach (Präsident der Österreichischen
Schmerzgesellschaft), Univ. Prof. Dr. Anita Rieder (Institut für Sozialmedizin der
Medizinischen Universität Wien), Dr. Walter Fiala (Österreichische Gesellschaft für
Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM)), Prof. Dr. Rudolf Müller (Chefarzt
Pensionsversicherungsanstalt), Dr. Thomas Neumann (Wirtschaftskammer Österreich),
Dr. Magdalena Arrouas (Bundesministerium für Gesundheit) und Mag. Hans Kratzer
(Geschäftsführer PERI Consulting) / Fotocredit: Welldone / APA-OTS / Thomas Preiss




(26.03.2009, Rheuma-Selbst-Hilfe.at.com)


Jeder kennt Schmerzen. Doch wenn der Schmerz bleibt und chronisch
wird, kann das Leben der Betroffenen zur Qual werden. In Österreich
sind chronische Schmerzen eine weitverbreitete Erkrankung. Rund 1,7
Millionen Menschen sind davon betroffen. Meist ist ein Zusammenspiel
von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren für das Leiden
verantwortlich.
Der Erste Österreichische Patientenbericht
Chronischer Schmerz 2009 hat in einer landesweiten Umfrage die
subjektiv erlebten Empfindungen und Bedürfnisse von Schmerzpatienten
ermittelt. Ziel ist es, den Anliegen der Patienten Gehör zu
verschaffen, Entwicklungen zu beobachten und in Kooperation mit den
wesentlichen Akteuren des österreichischen Gesundheitswesens
Verbesserungen zum Wohlbefinden der Betroffenen zu erreichen. So
ergab die Umfrage, dass sich Schmerzpatienten durch die Erkrankung
stark in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt fühlen. Die Zeiträume
von ersten Symptomen bis zur Diagnose sind sehr lange, folglich setzt
eine optimale Therapie relativ spät ein.

Nicht nur der Schmerz, sondern auch die Einnahme der Schmerzmittel, die
von vielen Nebenwirkungen wie etwa der Obstipation begleitet werden,
erschwert das Leben der Betroffenen. Auf der Suche nach Linderung werden
häufig und regelmäßig viele unterschiedliche Ärzte konsultiert. Dennoch sind
derzeit laut Umfrage des Österreichischen Patientenberichtes rund 40
Prozent der Schmerzpatienten mit ihrer Behandlung unzufrieden.
Gleichzeitig ist der Arzt jedoch die wichtigste Informationsquelle
für die Betroffenen. Die Umfrage ergab, dass die Erkrankung auch
erhebliche wirtschaftliche Folgen hat, denn immer häufiger leiden
junge Patienten an chronischem Schmerz. Ab dem Alter von 40 Jahren
werden sie berufsunfähig und viele Betroffene müssen häufig in
Frühpension gehen.

Die Initiative Erster Österreichischer Patientenbericht

Die Umfrage zum Chronischen Schmerz wurde im Zeitraum zwischen
Juni und Dezember 2008 im Rahmen des Ersten Österreichischen
Patientenberichtes durchgeführt. PERI Consulting initiierte das
innovative Projekt im Jahr 2005. Ziel ist es, den österreichischen
Patienten bei gesundheitspolitischen Entscheidungen eine Stimme zu
geben, mit der sie ihre subjektiv erlebten Wünsche und Bedürfnisse in
Bezug auf ihr Leiden artikulieren können. Durch anonymisierte
Patientenumfragen zu verschiedenen chronischen Erkrankungen, die
bundesweit durchgeführt werden, sollen die Anliegen von Patienten
eruiert, Optimierungspotenziale im österreichischen Gesundheitssystem
erhoben und die Ergebnisse den zentralen Akteuren und
Entscheidungsträgern des Gesundheitswesens übermittelt werden. Denn
speziell chronisch kranke Patienten haben ein genaues Bild davon, wie
sie mit ihrer Krankheit leben und umgehen wollen, und was sie sich
von einem solidarischen Gesundheitssystem wünschen. "Durch höchste
Transparenz und Einbindung möglichst vieler relevanter
Interessensvertreter stellen wir sicher, dass sowohl die
Datenerhebung als auch die Auswertung objektiv und ohne Verzerrungen
erfolgen", erläutert Mag. Hanns Kratzer, Geschäftsführer von PERI
Consulting.

Der Patientenbericht ist ein qualitätsgesicherter Prozess
und arbeitet mit Umfragen bei Betroffenen und deren Angehörigen. Der
dazu benötigte Fragebogen wird von einer Patienten-Arbeitsgruppe in
zwei bis drei Workshops unter der Leitung eines Mediators erstellt.
Die Kooperationspartner haben die Möglichkeit spezifisch definierte
Fragen zu formulieren und in die Umfrage einzubringen. Nach der
finalen Prüfung durch die Abteilung Public Health an der
Medizinischen Universität Wien werden diese Fragebögen österreichweit
verteilt und schließlich von renommierten Marktforschungsinstituten
ausgewertet. Die Stimme des Patienten erhält im Österreichischen
Patientenbericht eine Form des transparenten Ausdrucks und kann so in
relevanten gesundheitspolitischen Entscheidungen mitberücksichtigt
werden. "Der Erste Österreichische Patientenbericht ist sowohl für
die Patienten als auch für die öffentlichen und politischen
Institutionen sehr wertvoll, denn er ermöglicht stufenweise und
langfristig an der Versorgungsstruktur und den Therapieoptionen für
an chronischen Erkrankungen leidenden Menschen zu arbeiten", so
Kratzer.

Chronische Schmerzen in Österreich

Die Umfrage des Österreichischen Patientenberichtes Chronischer
Schmerz 2009 hat gezeigt, dass die häufigsten chronischen Schmerzen
im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates auftreten, gefolgt von
Kopf- und Nervenschmerzen sowie Folgen von diversen Tumorleiden sind.
Die Krankheitsbilder sind vielfältig, die Diagnose aufgrund der
Ursachen oft sehr schwierig. "Für die Patienten besteht eine lange
Wartezeit bis zur Therapie. Die Betroffenen berichten, dass es rund
2,5 Jahre dauert, bis die Diagnose Chronischer Schmerz feststeht und
eine optimale Therapie einsetzen kann", berichtet Prim. Univ. Prof.
Dr. Michael Bach, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft.

Derzeit sind rund 40 Prozent der Schmerzpatienten mit ihrer
Behandlung unzufrieden. Obwohl es sehr gute Medikamente und
Behandlungen gibt, sind die Therapieprogramme nur begrenzt imstande,
chronische Schmerzen auf Dauer zu beseitigen. Der hohe Leidensdruck
und die schweren Beeinträchtigungen des Alltags führen zu häufigen
Arztbesuchen. Der Patientenbericht zeigt, dass Schmerzpatienten in
Österreich einmal pro Woche einen Arzt konsultieren. Meist werden auf
der Suche nach Schmerzlinderung bis zu drei unterschiedliche Ärzte in
einem Quartal konsultiert, bei starken Schmerzen sogar bis zu vier.
Chronische Schmerzpatienten werden zusätzlich zu ihrer medikamentösen
Behandlung auch durch Physiotherapie, Sport und Bewegungstherapien
sowie durch psychologische Betreuung begleitet. Die Schmerzbehandlung
mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln kann sich stark belastend
auf das Leben der Betroffenen auswirken.

Der Großteil der befragten Patienten klagt über Obstipation,
Magen-Darmstörungen, Müdigkeit oder Verwirrtheit. Nahezu alle an der
Umfrage beteiligten Patienten sind sich einig, dass die Verträglichkeit
der Schmerzmedikamente mit anderen eingenommenen Medikamenten sehr wichtig
ist. Die möglichen Nebenwirkungen werden sehr kritisch betrachtet. So
wünschen sich beispielsweise über 90 Prozent der Befragten, dass die Verdauung
und der regelmäßige Stuhlgang durch die Einnahme eines Schmerzmittels
nicht beeinträchtigt wird.

Der Schmerz beeinträchtigt nicht nur die Körperfunktionen, auch das
psychische Wohlbefinden der Betroffenen leidet. "Nicht die
Symptomintensität selbst, sondern der damit verbundene Leidensdruck
führt zu Krankenständen, Arbeitsunfähigkeit, sozialem Rückzug und
Beziehungsverlusten. Die soziale Situation von Schmerzpatienten ist
sehr schwierig. Wie sich in der Umfrage zeigt, wird heute eine breite
Palette an Medikamenten zur Schmerztherapie eingesetzt. Dazu zählen
die typischen Schmerzmedikamente, wie Antirheumatika, ebenso wie die
Opioide, Antidepressiva oder Antikonvulsiva. Antidepressiva haben
neben dem antidepressiven Effekt auch direkt schmerzlindernde
Eigenschaften", erläutert Bach.

Der Arzt ist die wichtigste Informationsquelle

Rund 94 Prozent der Schmerzpatienten beziehen die relevanten
Informationen zu ihrer Erkrankung vom Arzt, so die Umfrage des
Österreichischen Patientenberichtes. Bei Schmerzen ist er die erste
Anlaufstelle. Das Internet wird von 21 Prozent der befragten
Patienten als zusätzliche Informationsquelle herangezogen, während
Bücher, Zeitschriften und Zeitungen für 15 Prozent der Betroffenen
wichtig sind. Aufgrund des hohen Leidensdruckes und der häufig
starken psychischen Belastung, die mit der Erkrankung einhergeht, ist
es den Betroffenen ein großes Anliegen, dass die Ärzte gut über
Symptome und Auswirkungen der Erkrankung Bescheid wissen. Das ist
nicht nur aus der Sicht der Patienten wichtig. "Nur wenn akute
Schmerzen in der Allgemeinpraxis rasch diagnostiziert und effizient
therapiert werden, kann man die große Zahl chronischer
Schmerzzustände verringern.

Dazu bedarf es einer intensiven Stärkung der Allgemeinmedizin in Form
einer Intensivierung der Ausbildung und der Schaffung des Facharztes
für Allgemeinmedizin und das Ermöglichen moderner Arbeitsbedingungen
wie Gruppenpraxen sowie der Honorierung nichtapparativer Diagnostik
und des ärztlichen Gesprächs", betont Dr. Walter Fiala von der
Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM). In der
Betreuung von Schmerzpatienten ist das persönliche Gespräch mit dem
behandelnden Arzt sehr wichtig.
Rund 86 Prozent der befragten Patienten haben ein sehr hohes
Informationsbedürfnis. Für 61 Prozent ist es sehr wichtig, dass diese
Informationen vom Allgemeinmediziner kommen, bevor in Folge
Spezialisten herangezogen werden.

Junge Patienten von Berufsunfähigkeit und Frühpensionierung betroffen

Chronische Schmerzen haben weitreichende Auswirkungen, denn sie
betreffen immer häufiger junge Patienten, die bereits ab einem Alter
von 40 Jahren aufgrund ihrer Schmerzen berufsunfähig werden. Rund 43
Prozent der 41- bis 50-jährigen befragten Patienten geben an, dass
sie krankheitsbedingt berufsunfähig und/oder in Frühpension sind. Bei
Asthma scheiden vergleichsweise um rund 25 Prozent weniger Patienten
wegen ihrer Erkrankung aus der Arbeitswelt aus. "Die Umfrage bei 565
chronischen Schmerzpatienten österreichweit ergab, dass 79 Prozent
der Befragten an chronischen Schmerzen im Stütz- und Bewegungsapparat
leiden. Dies korreliert recht gut mit den Neuzugängen zu einer
Berufsunfähigkeits- bzw. Invaliditätspension im Bereiche der
Pensionsversicherungsanstalt", erläutert Prof. Dr. Rudolf Müller,
Chefarzt der Pensionsversicherungsanstalt.

Fehlzeiten aufgrund von häufigen Arztbesuchen, lange Krankenstände,
Berufsunfähigkeit und Frühpensionen belasten die Wirtschaft. "Nicht zu
vergessen ist, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung auch über die
Wirkungsweise der Verringerung der Höhe des Erwerbseinkommens und damit
der Kaufkraft einen dämpfenden Effekt auf das Wirtschaftswachstum hat.
Eine Quantifizierung dieser Kosten wurde aber noch nicht für Österreich
untersucht", erklärt Dr. Thomas Neumann von der österreichischen
Wirtschaftskammer. Die steigende Lebenserwartung erhöht die Zahl der
Schmerzpatienten auch im Alter. Teure Behandlungskosten und
beeinträchtigte Erwerbssituationen wirken sich nicht nur auf das
Leben der Betroffenen aus, sondern sind hohe Kosten verursachende
Faktoren im gesamten österreichischen Gesundheitssystem. Daraus
folgend ergibt sich eine hohe Notwendigkeit nach einer optimierten
Schmerzbehandlung.

Wunsch nach mehr Öffentlichkeitsarbeit

Chronische Schmerzen führen zu sozialen Rückzug und
Beziehungsverlusten. Die Erkrankung erfährt eine starke
gesellschaftliche Stigmatisierung. Oft folgt die Depression den
qualvollen chronischen Schmerzzuständen. So ergab die Umfrage des
Österreichischen Patientenberichtes etwa, dass sich rund 82 Prozent
der Befragten mehr Respekt, Toleranz und Akzeptanz für ihr Leiden
erwarten. Um dies zu gewährleisten, wünschen sich zwei Drittel der
Patienten mehr Öffentlichkeitsarbeit, durch die nicht nur sie selbst,
sondern auch die Gesellschaft verstärkt über die Erkrankung
aufgeklärt wird. Ein Schritt in diese Richtung ist der Erste
Österreichische Patientenbericht.

"Voraussetzung dafür sind solide - das heißt relevante und gut
verständliche Fragestellungen - ebenso, wie deren professionelle
Durchführung und Auswertung. Objektivität und Unparteilichkeit sind
weitere Prämissen für das Erlangen aussagekräftiger Antworten und deren
Bearbeitung. Wir wissen auch, dass chronische Schmerzzustände sich
verselbständigen und dann schwer beeinflussbar werden.
Daher muss es Ziel sein, möglichst zu verhindern, dass Schmerzen
chronifizieren und den Fokus auf die adäquate Behandlung des akuten Schmerzes
zu legen", so Dr. Magdalena Arrouas vom Bundesministerium für Gesundheit.


Quelle:
OTS0167 2009-03-26/12:16


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