Im Doppelpack: chronische Schmerzen und psychische Störungen

03.02.2009 19:54 (zuletzt bearbeitet: 03.02.2009 22:32)
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Ev
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Chronische Schmerzpatienten weisen eine hohe psychiatrische Komorbidität auf. Bei 65,5% besteht eine somatoforme Schmerzstörung mit medizinischen und/oder psychologischen Faktoren. Das heißt, dass durch medizinische Faktoren allein die Schmerzen nicht ausreichend erklärt werden können. Im Folgenden soll v.a. auf Schlaf- und Angststörungen, Depressionen und Substanzmissbrauch/abhängigkeit im Zusammenhang mit chronischem Schmerz näher eingegangen werden.

Bei etwa 80% der Patienten mit somatoformer Schmerzstörung spielen Schlafstörungen eine wichtige Rolle im Beschwerdebild (Aigner et al 2005). Patienten mit chronischen Schmerzen, die zusätzlich an Schlafstörungen leiden, sind deutlich mehr beeinträchtigt und haben auch stärkere Schmerzen.

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Dieser Artikel lässt sich leider nicht richtig verlinken. Man kommt immer auf ein anders Thema. Deshalb kopiere ich den Artikel ganz herein. Der Autor möge mir das bitte nachsehen!

Chronischer Schmerz und Schlafstörungen
Bei etwa 80% der Patienten mit somatoformer Schmerzstörung spielen Schlafstörungen eine wichtige Rolle im Beschwerdebild (Aigner et al 2005). Patienten mit chronischen Schmerzen, die zusätzlich an Schlafstörungen leiden, sind deutlich mehr beeinträchtigt und haben auch stärkere Schmerzen. Das Spektrum der assoziierten Schlafstörungen reicht von nichtorganischen bis hin zu organischen Schlafstörungen. In eigenen Untersuchungen konnte ein hoher Anteil an Patienten mit Restless-Legs-Syndrom (RLS) unter den somatoformen Schmerzpatienten identifiziert werden (42%) (Aigner et al 2007) und sogar ein noch höherer Prozentsatz (73%) mit periodischen Beinbewegungen (PLMS) (Prause et al 2006).

RLS und PLMS können als Ausdruck einer monoaminergen Dysfunktion im Zentralnervensystem gewertet werden (Trenkwalder et al 2004). Schlafstörungen und chronische Schmerzen bilden einen Teufelskreis, indem sie sich gegenseitig verstärken und aufrechterhalten. Da der Schlaf eine wichtige homöostatische Funktion für den Menschen darstellt, wird durch diesen Teufelskreis (Schmerz und Schlafstörung) einer weiteren neurohumoralen Dysregulation Vorschub geleistet.

Dysregulation der Schmerzverarbeitung
Hier kann eine Reihe von chronischen Schmerzstörungen genannt werden, die dem „Dysregulation Spectrum Syndrome“ (nach Yunus 1997) entsprechen und die mit der somatoformen Schmerzstörung eine syndromale Überlappung gemeinsam haben: Fibromyalgie, Chronic Fatigue Syndrom (CFS), Chronic Pelvic Pain (CPP), chronischer Spannungskopfschmerz, chronische gastrointestinale Beschwerden (Reizdarmsyndrom), um nur einige zu nennen. Gemeinsam ist diesen Störungen eine neurohumorale Dysregulation mit multiplen, zum Teil wechselnden Beschwerden, in deren Zentrum die Dysregulation der Schmerzverarbeitung steht. Entsprechend der Neuromatrix-Theorie von Melzack (1999) werden psychosoziale Stressfaktoren und Schmerzreize in einer gemeinsamen Neuromatrix verarbeitet, in deren Zentrum das limbische System mit Amygdala und Hippokampus steht. Es werden also psychosoziale Schmerzauslöser und Schmerzreize aus dem Körper in einer gemeinsamen Schmerzmatrix verarbeitet und tragen so zum subjektiven Schmerzerleben bei.

Schmerzmatrix in 3 Subsystemen
1: sensorisch-diskriminative Schmerzverarbeitung, das laterale thalamokortikale System: kortikale Bereiche: primärer somatosensorischer Kortex (SI), sekundärer somatosensorischer Kortex (SII), Insula; subkortikale Bereiche: Thalamus, Basalganglien, Zerebellum, periaquäduktales Grau (PAG)

2: kognitive Schmerzverarbeitung:
der präfrontale Kortex (PFC) und die supplementär motorische Area (SMA)

3: affektive – emotionale Schmerzverarbeitung: limbisches System: anteriorer zingulärer Kortex (ACC), Insula und Amygdala. In eigenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass weite Bereiche der Schmerzmatrix bei Patienten mit somatoformer Schmerzstörung eine reduzierte EEG-Aktivität über verschiedene Frequenzbänder (Theta, Alpha-1 und Beta-1, -2, -3) hinweg aufweisen.

Diese „mangelnde Ruheaktivierung“ dürfte bei entsprechender Aktivierung zu einer „Überflutung“ der Schmerzmatrix führen. Dies erleben die Patienten dann als Schmerzen, Schmerz, der immer dann auftritt, wenn es zu einer Aktivierung kommt. Gesundheitsförderndes Verhalten wird so oft gelöscht, und die Patienten kommen in einen „Dekonditionierungszustand“ mit einer entsprechenden depressiven Symptomatik.

Chronischer Schmerz und Depression
Die syndromale Ähnlichkeit hinsichtlich des Rückzugsverhaltens und der affektiven Verstimmung bei chronischen Schmerzpatienten und Patienten mit chronischen Depressionen hat zum Konzept des Schmerzes als „larvierte Depression“ geführt. Im Rahmen der Schmerzforschung hat sich jedoch gezeigt, dass chronischer Schmerz kein rein kognitiv-emotionales Erlebnis, sondern eine sensorische und kognitiv-emotionale Erfahrung ist (siehe auch Schmerzmatrix). Das Konzept der Komorbidität zwischen chronischem Schmerz und Depression passt daher mehr zu den aktuellen neurobiologischen Konzepten und ist für viele Patienten zudem auch leichter anzunehmen. Chronischen Schmerzpatienten, die nicht depressiv sind, muss nicht erklärt werden, dass sie eigentlich eine versteckte Depression haben, sondern eben chronische Schmerzen.

Chronischer Schmerz und Angststörung
Die Angst vor Schmerzen spielt bei vielen chronischen Schmerzen eine wichtige aufrechterhaltende und verstärkende Rolle. Im Angst-Vermeidungs-Modell des chronischen Schmerzes kann erklärt werden, wie die allgemeine Ängstlichkeit und Gesundheitsängste (hypochon-drische Ängste) im Besonderen zur Schmerzverstärkung und Chronifizierung beitragen.

Die Angstbewältigung kann so zu einem wichtigen Baustein in der Schmerztherapie werden. Etwa 55% der chronischen Schmerzpatienten leiden unter starken hypochondrischen Ängsten, d.h. sie befürchten, dass hinter ihren chronischen Schmerzen eine noch nicht entdeckte Krankheit lauert. Diese Patienten unterziehen sich immer wieder neuen Untersuchungen, um zumindest kurzfristig Erleichterung zu finden. Dieser „negative Verstärkerkreislauf“ führt ebenfalls zur Chronifizierung und mündet in ein „Doctor-Shopping“, indem die Patienten zwanghaft nach immer neuen Untersuchungen/Versicherungen streben. Das Aussteigen aus diesem Kreislauf ist für die Patienten und unser Gesundheitssystem von großer Bedeutung!

Substanzabusus/Substanzabhängigkeit und chronischer Schmerz
Bis zu einem Drittel der Schmerzpatienten leidet unter substanzinduzierten Problemen. Alkohol, Tranquilizer und Schmerzmittel spielen dabei eine wichtige Rolle. Der „medikamenteninduzierte Kopfschmerz“ steht für einen Schmerzmittelübergebrauch/-missbrauch, der selbst zu einer Schmerzverstärkung und Aufrechterhaltung führt. Nicht zu vergessen die Sekundärschäden, die durch Schmerzmittelüberkonsum auftreten können.

Therapeutischer Ansatz
Aufgrund von Befürchtungen, stigmatisiert zu werden („eingebildeter Schmerz“), lehnen chronische Schmerzpatienten oft psychosoziale Auslösefaktoren als Erklärung für ihre Schmerzen ab. Die Patienten sind sich ja zu Recht sicher, unter „echten Schmerzen“ zu leiden. Der umfassenden Therapieplanung, in dem biologisch/medizinische wie auch psychosoziale Faktoren in das Schmerzmodell integriert werden können, kommt daher besondere Bedeutung zu. In Schmerzbewältigungsgruppen kann die kognitive und emotionale Kontrolle über Schmerzen gefördert werden und so die Angst vor dem Schmerz abgebaut werden. Patienten können einen sinnvollen Umgang mit dem Gesundheitssystem „erlernen“, um aus dem chronifizierenden Doctor-Shopping auszusteigen, die medikamentöse Schmerztherapie auch wirklich schmerzlindernd einzusetzen, ein gesundheitsförderndes Verhalten aufzubauen und so aus dem Angst-Vermeidungs-Kreis und Dekonditionierungskreis auszusteigen. Verhaltenstherapie hat in der Indikation chronischer Schmerz eine Effektstärke von 0,5 (Morley et al 1999). Da Schmerz ein psychophysisches Phänomen ist, haben sich bei Migranten auch muttersprachliche Gruppentherapien sehr bewährt. Emotionale Bereiche können in der eigenen Muttersprache einfach besser besprochen werden. Es kann leichter ein Gefühl der Selbstkompetenz aufkommen.

Neben der Psychotherapie spielen auch Schlafhygiene und Psychopharmakotherapie im Rahmen einer multidisziplinären Schmerztherapie eine wichtige Rolle. Entsprechend der Hypothese der „monoaminergen Dysregulation“ können hier Pharmaka wie Antidepressiva eingesetzt werden, die serotonerge und noradrenerge Wirkungen haben, aber auch dem dopaminergen System dürfte eine Rolle zukommen. Antidepressiva haben sich in der Therapie chronischer Schmerzen bewährt: Metaanalysen haben aufgezeigt, dass Effektstärken von ca. 0,4 bei chronischem Rückenschmerz (Salerno et al 2002), ca. 0,5 bei Fibromyalgie (O,Malley et al 2000) und somatoformer Schmerzstörung (Fishbain et al 1998), ca. 0,9 bei funktionellen gastrointestinalen Störungen (Jackson et al 2000) und ca. 1 bei chronischem Kopfschmerz (Tomkins et al 2001) zu erwarten sind. Auch beim neuropathischen Schmerz haben Antidepressiva ihren Platz (Finnerup et al 2005). Dopaminagonisten können z.B. beim RLS eingesetzt werden. Die Antipsychotika können ebenfalls in besonderen Fällen zu einer emotionalen Schmerzdistanzierung beitragen.

Autor:
Univ.-Prof. Dr. Martin Aigner, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien

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