(AT) Handlungsbedarf bei der Versorgung von Rheumakranken

18.11.2009 23:48
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Österreichs erster Rheumabericht zeigt Handlungsbedarf bei der Versorgung von Betroffenen


Rheumatoide Arthritis (rA) gilt neben der Gicht und
dem Morbus Bechterew als die häufigste entzündliche Erkrankung des
rheumatischen Formenkreises. Rund 62.500 (1) Österreicher sind
derzeit allein von rA betroffen und die Tendenz ist steigend. Die
Auswirkungen der Krankheit sind für den Patienten enorm, denn die
Gelenkszerstörung beeinflusst das ganze Leben, sei es im privaten
oder beruflichen Bereich. Der Erste Österreichische Patientenbericht
rheumatoide Arthritis spiegelt erstmals die aktuelle Situation sowie
die Bedürfnisse und Wünsche von diesen Rheumapatienten wieder. Laut
Patientenbericht geht es rund einem Viertel der Befragten derzeit
eher schlecht mit ihrer Erkrankung. Die Ursachen dafür sind
vielfältig.


Rheumatoide Arthritis ist nach wie vor nicht heilbar, durch
adäquate medikamentöse Therapien bestehen jedoch sehr gute
Behandlungsmöglichkeiten. Die Ergebnisse des Österreichischen
Patientenberichts Rheumatoide Arthritis zeigen jedoch, dass die
Zeitspanne vom ersten Symptom bis zum Beginn der Behandlung noch viel
zu lange ist. Laut Patientenbericht vergehen rund 16,4 Monate vom
ersten Symptom bis zur Diagnose. Bis der Patient tatsächlich
behandelt wird, vergeht nochmals ein knappes halbes Jahr. Grund dafür
ist unter anderem auch die Versorgungsstruktur in Österreich. "Wir
müssen uns eine deutliche Beschleunigung der Diagnosefindung, sowie
eine intensive Ausbildung der Ärzte im niedergelassenen Bereich und
einen niederschwelligen Zugang zu Rheumatologen zum Ziel setzen, um
eine optimale Patientenversorgung im ganzen Land zu erreichen", so
Dr. Günther Wawrosky von der Österreichischen Ärztekammer. Laut
Patientenbericht wird auch der Tatsache zu wenig Beachtung geschenkt,
dass Patienten mit rheumatoider Arthritis eine verkürzte
Lebenserwartung von durchschnittlich fünf bis acht Jahren aufweisen.
Zu den häufigsten Todesursachen zählen Herz-Kreislauferkrankungen,
die durch eine hohe rheumatische Entzündungsaktivität bedingt sind.
So ist auch das Anliegen von 48 Prozent der Betroffenen zu verstehen,
der Krankheit in der Öffentlichkeit einen höheren Stellenwert
beizumessen und den Erkrankten mehr Respekt und Akzeptanz entgegen zu
bringen. Die Pressekonferenz bildet den Auftakt zur 60. Jahrestagung
der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie und
Rehabilitation, die von 20. bis 21. November in Graz stattfindet.

Österreich ist mit Rheumatologen unterversorgt

Rund 51 Prozent der Befragten gaben an, Ihre Diagnose in einer
Spezialambulanz bzw. im Rahmen eines stationären Aufenthalts erhalten
zu haben, 36 Prozent erhielten ihre Diagnose bei einem
niedergelassenen Facharzt. Die stationäre Versorgung von
Rheumapatienten ist in Österreich relativ gut abgedeckt. Im
ambulanten Bereich bestehen jedoch aufgrund der geringen Anzahl an
Ambulanzen große Versorgungsdefizite. So gibt es in Österreich 27
internistische Krankenhausambulanzen (in öffentlichen
Krankenanstalten mit rheumatologischer Expertise), wobei 10 davon in
Wien sind. Im niedergelassenen Bereich existieren 77 Internisten mit
rheumatologischer Expertise, wobei nur 12 von ihnen einen
Kassenvertrag haben. In der Steiermark, in Tirol und Vorarlberg
existieren keine entsprechenden Ärzte mit Kassenvertrag. "Gerade bei
schweren Verläufen ist es wichtig, um das Ziel einer Remission oder
zumindest einer niedrigen Krankheitsaktivität zu erreichen, dass sich
der Patient regelmäßig und kurzfristig an seinen Facharzt wenden
kann, um ein optimales Therapieergebnis zu erzielen. Umso
verständlicher und auch wünschenswert ist daher auch das Anliegen von
70 Prozent der Patienten, einen Facharzt für Rheumatologie oder eine
Rheumaambulanz in der Nähe zu haben. Dieses Anliegen ist jedoch nur
durch eine flächendeckende Versorgung zu erreichen, die wir von der
Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie dringend fordern", so
Prim. Dr. Burkhard Leeb, Vorstand der 1. und 2. medizinischen
Abteilung Landesklinikum Weinviertel Stockerau, Präsident der
Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitation.

Umfassendes Angebot an qualifizierten rheumatologischen Leistungen in
Österreich


Um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten und den Status
quo an qualifizierten rheumatologischen Leistungen zu erheben, hat
die ÖGR eine zweiteilige Studie in Auftrag gegeben. Die erste Analyse
hat das Ziel, die Angebote für Leistungen in der Rheumatologie im
niedergelassenen, krankenhausambulanten und stationären Bereich zu
erheben. Als Basis dafür dient die von der Österreichischen
Rheumaliga und der ÖGR 2007 erstellte Rheumalandkarte. Mag. Dr.
Johannes Hohenauer, Senior Berater und Geschäftsführer der Ebner
Hohenauer HC Consult GmbH, sieht die Ergebnisse der ersten Analyse
so: "Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Abdeckung im
stationären Bereich relativ gut ist, während im ambulanten Bereich
große Defizite bestehen. Sowohl qualitativ, als auch in Bezug auf die
regionale Versorgungsabdeckung besteht Optimierungsbedarf." Die
zweite Analyse beschäftigt sich mit der Erhebung von Preisen für
Leistungen in der Rheumatologie im niedergelassenen,
krankenhausambulanten und stationären Bereich. "Anzustreben ist eine
spezifische, an Qualitätskriterien gebundene Leistungsvergütung, um
eine ökonomische Besserstellung der rheumatologischen Leistungen zu
erhalten", fasst Hohenauer das Ziel der zweiten Analyse zusammen."

Frühpensionierung oft als Folge der Erkrankung

Rheumatische Erkrankungen zählen zu den am meisten verbreiteten
Krankheiten. "Nahezu in jeder österreichischen Familie befindet sich
ein rheumakrankes Mitglied, wobei die Krankheit auch nicht vor
Kindern halt macht", so Burkhard Leeb. Rheumatoide Arthritis mündet
häufig in Gelenkzerstörung und funktioneller Behinderung. Die Folge
daraus ist eine Beeinträchtigung der Lebensqualität und somit oft
auch eine damit verbundene Einschränkung der Erwerbstätigkeit, zumal
die Krankheit am häufigsten zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr
auftritt. Dies bestätigt auch der Patientenbericht, denn 57 der
Befragten sind noch keine 60 Jahre alt. Weiters zeigt der
Patientenbericht, dass 24 Prozent der Befragten krankheitsbedingt in
Frühpension sind. Im Vergleich dazu sind etwa nur acht Prozent der
Asthmapatienten aufgrund ihrer Erkrankung frühpensioniert. Ca. 14
Prozent der befragten Betroffenen geben an, durch ihre Erkrankung
ihren Arbeitsplatz verloren zu haben. "Wie der Patientenbericht
zeigt, führt die rheumatoide Arthritis unweigerlich in eine
verminderte Erwerbstätigkeit. Dies ist umso gravierender als viele
Rheumapatienten trotz ihrer Beschwerden weiter im Berufsleben stehen
wollen. Um die gleichen Arbeitsleistungen wie ihre gesunden Kollegen
erbringen zu können, können sie durch verschiedene
Rehabilitationsmaßnahmen unterstützt werden. Es kommt zu weniger
Arbeitsausfällen, wenn die Arbeitsbedingungen an die Bedürfnisse von
Patienten mit rheumatoider Arthritis angepasst werden", so Dr. Walter
Pöltner, Sektionschef, Bundesministerium für Arbeit, Soziales und
Konsumentenschutz.

Forderung nach mehr Öffentlichkeitsarbeit

An rheumatoider Arthritis zu erkranken ist für viele Betroffene
mit massiven Einschränkungen verbunden und bedeutet für viele auch,
auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Umso verständlicher und
nachvollziehbarer ist der Wunsch von über 60 Prozent der Befragten,
dass ihr Umfeld so gestaltet ist, dass sie möglichst wenige
Einschränkungen im täglichen Leben haben. "Dazu ist es auch wichtig,
dass der Krankheit von der Öffentlichkeit mehr Beachtung geschenkt
wird. Die öffentliche Aufmerksamkeit gehört nach wie vor den
tödlichen Erkrankungen", so Burkhard Leeb. Warum den rheumatischen
Erkrankungen noch immer so wenig Beachtung geschenkt wird, liege
unter anderem daran, dass es bis vor etwa 15 Jahren noch keine allzu
wirksamen Therapien gegeben hat, was sich heute stark verändert habe,
so der Experte. Besonders wichtig ist es den Patienten (53 Prozent),
dass auch Vertreter öffentlicher Einrichtungen wie beispielsweise
Amtsärzte oder Chefärzte Verständnis für die Erkrankung haben. Rund
32 der befragten Patienten vermissen dieses Verständnis. Den Grund
dafür fasst die Betroffene und Präsidentin der Rheumaliga zusammen:
"Meiner Meinung nach wird die Krankheit auch noch immer verharmlost,
dazu kommt, dass Rheuma keine "ansehnliche Krankheit" ist.
Deformierungen an Händen und Gelenken werden oft nicht als Krankheit
erkannt. In der Bevölkerung herrscht auch die Meinung vor, dass man
an Rheuma nicht sterben kann. Das ist auch richtig, denn die Menschen
sterben nicht an der Krankheit selbst, sondern an deren Folgen, am
häufigsten aber an Herz-Kreislauferkrankungen, die durch eine hohe
rheumatische Entzündungsaktivität bedingt sind", so Frau Loisl.

Die Initiative Erster Österreichischer Patientenbericht

Die Umfrage zur rheumatoiden Arthritis wurde im Zeitraum zwischen
Juli 2008 und Juli 2009 im Rahmen des Ersten Österreichischen
Patientenberichtes durchgeführt. An der Befragung haben sich 685
Patienten beteiligt. Ziel des Projektes ist es, den österreichischen
Patienten bei gesundheitspolitischen Entscheidungen eine Stimme zu
geben, mit der sie ihre subjektiv erlebten Wünsche und Bedürfnisse in
Bezug auf ihr Leiden artikulieren können. Durch anonymisierte
Patientenumfragen zu verschiedenen chronischen Erkrankungen, die
bundesweit durchgeführt werden, sollen die Anliegen von Patienten
eruiert, Optimierungspotenziale im österreichischen Gesundheitssystem
erhoben und die Ergebnisse den zentralen Akteuren und
Entscheidungsträgern des Gesundheitswesens übermittelt werden. Denn
speziell chronisch kranke Patienten haben ein genaues Bild davon, wie
sie mit ihrer Krankheit leben und umgehen wollen, und was sie sich
von einem solidarischen Gesundheitssystem wünschen. "Durch höchste
Transparenz und Einbindung möglichst vieler relevanter
Interessensvertreter stellen wir sicher, dass sowohl die
Datenerhebung als auch die Auswertung objektiv und ohne Verzerrungen
erfolgen", erläutert Mag. Hanns Kratzer, Geschäftsführer von PERI
Consulting. Der Patientenbericht ist ein qualitätsgesicherter Prozess
und arbeitet mit Umfragen bei Betroffenen und deren Angehörigen. Der
dazu benötigte Fragebogen wird von einer Patienten-Arbeitsgruppe in
zwei bis drei Workshops unter der Leitung eines Mediators erstellt.
Die Kooperationspartner haben die Möglichkeit spezifisch definierte
Fragen zu formulieren und in die Umfrage einzubringen. Nach der
finalen Prüfung durch die Abteilung Public Health an der
Medizinischen Universität Wien werden diese Fragebögen österreichweit
verteilt und schließlich von renommierten Marktforschungsinstituten
ausgewertet. Die Stimme des Patienten erhält im Österreichischen
Patientenbericht eine Form des transparenten Ausdrucks und kann so in
relevanten gesundheitspolitischen Entscheidungen mitberücksichtigt
werden. "Der Erste Österreichische Patientenbericht ist sowohl für
die Patienten als auch für die öffentlichen und politischen
Institutionen sehr wertvoll, denn er ermöglicht stufenweise und
langfristig an der Versorgungsstruktur und den Therapieoptionen für
an chronischen Erkrankungen leidenden Menschen zu arbeiten", so
Kratzer.

60. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie
und Rehabilitation in Graz


Vom 20. bis 21.11.2009 treffen sich die rheumatologisch tätigen
Ärzte Österreichs heuer in Graz, wo die Gesellschaft vor 60 Jahren
gegründet wurde. Der Patientenbericht und die Studie von Dr.
Hohenauer werden dort ebenso diskutiert wie neueste Möglichkeiten der
Diagnose und Therapie rheumatologischer Erkrankungen.

Die in diesem Pressetext verwendeten Personen- und
Berufsbezeichnungen treten der besseren Lesbarkeit halber nur in
einer Form auf, sind aber natürlich gleichwertig auf beide
Geschlechter bezogen.


1) Berechnung lt. Statistik Austria X/2007; angenommene Prävalenz
0,75%/Prävalenz 0,5 - 1%. Rheumatologie in Kürze, Hrsg.: Villinger P,
Seitz M, S. 572006, Thieme Verlag


Quelle:
OTS0165 2009-11-18/11:54


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