Neurodermitis: Regividerm wird ausgeliefert

04.11.2009 03:31 (zuletzt bearbeitet: 04.11.2009 03:34)
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Ev
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Neurodermitis: Regividerm wird ausgeliefert


Die Markteinführung der umstrittenen Creme Regividerm gegen die Hautkrankheit Neurodermitis ist angelaufen – trotz einer noch ausstehenden behördlichen Prüfung. Die Auslieferung der ersten 25.000 Tuben an den Großhandel in Deutschland und in der Schweiz habe am Mittwoch begonnen, sagte ein Sprecher der Vertriebsfirma Mavena Health Care der dpa in Köln. Es sei «unternehmerisches Risiko», nun den Verkauf der Creme in den Apotheken zu starten, obwohl eine letzte Überprüfung durch die Bezirksregierung Düsseldorf noch bevorstehe.
Die Behörde will prüfen, ob es sich bei der «nur» als Medizinprodukt zugelassenen Regividerm nicht doch um ein Arzneimittel handelt.


Vorberichte zu Regividerm:


Vitamin-B12-Creme


Mehr als »rosa Hühnerkacke«?

Nachdem in der ARD die Doku »Heilung unerwünscht – Wie Pharmakonzerne ein Medikament verhindern« lief, hagelte es in Apotheken Anfragen. Demnächst soll das vorgestellte Vitamin-B12-Produkt gegen Neurodermitis und Schuppenflechte verfügbar sein. Auch Rezepturen aus der Apotheke sind denkbar. Allerdings sollten Apotheker sachlich handeln und nicht unkritisch auf den Euphorie-Zug aufspringen.

Schaut man auf die Internetseite von Regividerm, so der Name der Vitamin-B12-Creme, dann gibt es dort mittlerweile eine Rubrik »Der Tag danach«. Gemeint ist 20. Oktober, der Tag nach Ausstrahlung der ARD-Sendung. »Anrufer aus der ganzen Welt fragen quasi im Minutentakt via E-Mail, Brief und über unser Regividerm-Telefon an und wollen mehr über das Projekt erfahren. Wir sind kaum in der Lage, alle Anfragen angemessen zu beantworten«, heißt es beim Unternehmen Regeneratio Pharma. Mittlerweile sei man durch die Kooperation mit einem Vertriebspartner aus der Schweiz, der Mavena Health Care, zuversichtlich, bald allen Wünschen und Anfragen gerecht zu werden. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit könne man nun davon ausgehen, dass die Vitamin-B12-Creme im November 2009 in den Apotheken in Deutschland, Österreich und der Schweiz erhältlich ist. Die PZN lautet 5523487, der empfohlene Verkaufspreis für 100 g Salbe soll 28,85 Euro betragen – ein stolzer Preis.

Stickstoffmonoxid-Fänger in Studien

Die rosafarbene Creme, die gegen die chronischen Hautkrankheiten Schuppenflechte und Neurodermitis helfen soll, besteht pro 100 g aus 0,07 g Vitamin B12 (Cyanocobalamin); 46 g Avocadoöl; 45,42 g Wasser; 8 g Methylglucosesesquistearat; 0,26 g Kaliumsorbat und 0,25 g Citronensäure. Wichtigster Inhaltsstoff dürfte das als Stickstoffmonoxid-Fänger geltende Vitamin B12 sein. Denn Stickoxide werden für Hautveränderungen bei Neurodermitis und Psoriasis verantwortlich gemacht.

Bereits vor einigen Jahren hatten dem Fernsehbericht zufolge zwei Forscher die Rezeptur von Regividerm entwickelt und vergeblich versucht, sie auf den Markt zu bringen. Demnach lehnten zahlreiche Pharmafirmen dankend ab. Vor klinischen Studien hatte der Mediziner Professor Dr. Peter Altmeyer von der Klinik für Dermatologie an der Ruhr-Universität Bochum die Zubereitung als »rosa Hühnerkacke« bezeichnet. Seine Einschätzung sollte sich jedoch ändern.

In einer klinischen Studie testete er zusammen mit seinem Kollegen Professor Dr. Markus Stücker die B12-Creme im Vergleich zu einer Placebo-Zubereitung an 49 Patienten mit atopischer Dermatitis. Über acht Wochen applizierten die Probanden zweimal täglich an einer Körperstelle die Vitamin-B12-Zubereitung und an einer anderen Körperstelle ein Placebo. Die Studienergebnisse wurden im Fachmagazin »British Journal of Dermatology« (Band 5, 2004, Seiten 977-983) veröffentlicht. Die Vitamin-B12-Creme war signifikant überlegen und die Behandlung wurde von den Neurodermitikern gut toleriert.

In »Dermatology« (Band 2, 2001, Seiten 141-147) veröffentlichten Altmeyer, Stücker und Kollegen die Ergebnisse einer Pilotstudie. An 13 Patienten wurde die Vitamin-B12-Zubereitung mit Calcipotriol verglichen. Die Ergebnisse: Nach zwölf Wochen war ein signifikanter Unterschied nicht auszumachen und während Calcipotriol sein Wirkmaximum nach vier Wochen erreichte, wirkte die Vitamin-B12-Zubereitung über den gesamten Untersuchungszeitraum gleich stark. Daraus folgerten die Autoren, dass sich die Zubereitung für eine Langzeittherapie eignet.

Im »Journal of Alternative and Complementary Medicine« (Band 4, 2009, Seiten 387-389) schlussfolgert Dr. Ronald Januchowski vom Spartanburg Regional Medical Center aus einer Studie mit 21 Kindern mit Ekzemen, dass Vitamin B12 als lokale Therapieoption für diese in Betracht gezogen werden sollte. Obwohl diese Studien im TV-Bericht und in Publikumsmedien dem Zuschauer beziehungsweise Leser einen Wirksamkeitsnachweis suggerieren, sollten Apotheker auch einen kritischen Blick auf die Größen der Studien werfen.

Selbst der an zwei der Studien beteiligte Dermatologe Stücker äußerte sich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur nun vorsichtiger: »Das Präparat kann helfen, nicht heilen, aber von einem Durchbruch zu sprechen, wäre nach bisheriger Datenlage wohl nicht gerechtfertigt.« Er gehe von der »Wirkung eines leichten Cortisons« aus. Weiter sagte er, dass es eine zusätzliche Option, aber kein Zaubermittel sei.


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Kommentar: Hart an der Grenze


Nicht »hart aber fair«, sondern hart an der Grenze zum Erträglichen war die ARD-Sendung mit Frank Plasberg am 21. Oktober. Als »Feldversuch der Medizin« bezeichnete Plasberg die geplante Impfung gegen die Neue Influenza. So vermittelte er den Zuschauern, wir seien nichts anderes als Versuchskaninchen der Pharmaindustrie und trug damit zur ohnehin bestehenden Verunsicherung der Bevölkerung bei. Dabei blieb es jedoch nicht. Gegen Ende der Sendung führte Plasberg die eigene Argumentationskette ad absurdum, indem er anprangerte, dass die einige Tage zuvor in einem ARD-Beitrag vorgestellte Vitamin-B12-Creme »trotz bester klinischer Studien« nicht auf dem Markt ist. Fakt ist jedoch, dass diese Zubereitung gerade mal an ingesamt 83 Patienten in Studien untersucht wurde – eine dünne Datenlage im Vergleich zu etwa 5000 Impflingen, an denen die Pandemie-Vakzine Pandemrix® bisher getestet wurde. Im Hinblick auf den überraschenden Themenwechsel fragte eine Teilnehmerin der Talkrunde völlig zu Recht: »Was hat das mit der Schweinegrippe zu tun?« Nichts. Unklar bleibt auch, warum Plasbergs Team die Datenlage zu Regividerm nicht noch einmal überprüft hatte. Denn bereits nach Ausstrahlung des ARD-Beitrags »Heilung unerwünscht« am 19. Oktober hatte es kritische Stimmen dazu gegeben.

Sven Siebenand

Redakteur Pharmazie

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Scharfe Kritik kommt zum Beispiel vom Deutschen Neurodermitis Bund (DNB). »Schade, dass sich jetzt auch schon eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt völlig kritiklos für solche PR-Aktionen hergibt«, so Thomas Schwennesen, Erster Vorsitzender des DNB, in einer Stellungnahme. »Es ist eine Schande und blanker Zynismus, dass die PR-Einführung eines normalen Hautpflege-Produktes sich der Pharmaschelte als Aufhänger für eigene Geschäfte bedient.« Die ARD habe mit diesem Beitrag den etwa fünf Millionen Neurodermitikern einen Bärendienst erwiesen und sich selbst journalistisch ins Abseits gestellt.

Dass der TV-Bericht seine Wirkung nicht verfehlt hat, kann auch Antje Lein, Leiterin der NRF-Rezeptur-Informationsstelle in Eschborn, bestätigen. »Mehr als 140 Anfragen aus Apotheken haben wir zu diesem Thema in den vergangenen zwei Tagen bekommen«, sagt die Apothekerin gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. Anfragen von Patienten und Hautärzten erreichen die Apotheken bundesweit.

Rezepturen aus der Apotheke

Solange das Fertigpräparat noch nicht verfügbar ist, wollen einige mit einer Rezeptur aus der Apotheke aushelfen. Zwar könne die Apotheke sämtliche Inhaltsstoffe der Originalrezeptur beziehen, jedoch gibt es diese dem NRF-Team zufolge nicht alle in Arzneibuchqualität. »Eine Zubereitung mit exakt der gleichen Zusammensetzung kann also nicht in Arzneibuchqualität hergestellt werden«, bringt Lein es auf den Punkt. Wer genau diese Zubereitung »nachbauen« will, dem bliebe nur eine Herstellung als Medizinprodukt.

Als solches (Klasse IIa) ist auch Regividerm Salbe in der EU und in der Schweiz registriert. »Wer in der Apotheke ein Medizinprodukt herstellen will, muss das aber melden«, gibt Lein im Folgenden zu bedenken. Wesentlich eleganter sei daher die Rezeptur eines Arzneimittels mit leicht abgewandelter Zusammensetzung. Der Vorteil: Alle Inhaltsstoffe sind in Arzneibuchqualität verfügbar. Das NRF hat nach Ausstrahlung des TV-Berichtes schnell reagiert und einen Rezepturhinweis »Cyanocobalamin zur Anwendung auf der Haut« erstellt (siehe dazu http://www.dac-nrf.de/index.php?nrf_id=1089).

Darin heißt es: »Das Fertigprodukt Regividerm enthält den Wirkstoff in 0,07-prozentiger Konzentration, Avocadoöl, Wasser sowie Methylglucosesesquistearat als O/W-Emulgator und Kaliumsorbat in Verbindung mit wasserfreier Citronensäure als Konservierungsmittel. Für den Emulgator existieren keine Prüfvorschriften und eine Bezugsquelle für zertifizierte Ware ist ebenfalls nicht bekannt.«

Als Alternative werden Rezepturen unter Verwendung einer lipophilen Grundlage, wie Hydrophober Basiscreme DAC, oder einer mit Avocadoöl aufgefetteten Basiscreme DAC (1 Teil Öl und 5 Teile Creme) als plausible Rezepturvorschläge genannt. Da wässrige Lösungen von Cyanocobalamin zwischen pH 4,5 und 5 stabil sind, habe die Verwendung der Hydrophoben Basiscreme DAC den Vorteil, dass durch die Konservierung mit Sorbinsäure beziehungsweise Kaliumsorbat und Citronensäure bereits ein pH-Wert von 4 bis 4,5 vorliegt. Allerdings könne die Einarbeitung des wasserlöslichen Wirkstoffes in die innere Phase der Creme einige Zeit in Anspruch nehmen.

Wichtig: Aufgrund der Lichtempfindlichkeit von Vitamin B12 sollten die Zubereitungen in Aluminiumtuben verpackt werden. Die Anwendung von Vitamin-B12-Creme ist offenbar unbedenklich, so Lein. Dem Fernsehbericht zufolge wirkt die Zubereitung mit Cyanocobalamin gegen Neurodermitis und Psoriasis. Lein rät von derartigen Indikationsaussagen gegenüber den Patienten ab. Im NRF-Rezepturhinweis heißt es dazu: »Indikationsaussagen sollten mit Zurückhaltung betrachtet werden. In Anbetracht der fraglichen Wirksamkeit und Unklarheiten im Hinblick auf den Produktstatus (Anmerkung der Redaktion: Medizinprodukt oder Arzneimittel) entsprechender Präparate sollten diese gegenüber dem Patienten nicht indikationsbezogen kommuniziert werden.«

Auch sollten Apotheker daraufhinarbeiten, dass Patienten eine bestehende Arzneimitteltherapie nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt eigenmächtig absetzen und stattdessen das neue Präparat cremen. Der Kölner Kinderarzt Dr. Eckhard Korsch rät ebenfalls zur Vorsicht: »Es wäre schön, wenn das Mittel eine Wirkung wie Cortison hätte«, meint der Mediziner. »Man kann es ausprobieren, aber es ist ein Experiment.«


Quelle:
Pharmazeutische Zeitung online


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