So wirkt Placebo (=ein Scheinmedikament)

18.10.2009 05:45
avatar  Eveline
#1
Ev
Administrator



UKE-Forscher haben nachgewiesen, dass das Schmerzempfinden beim
Übergang von der Haut ins Rückenmark geblockt wird, wenn ein Mensch
keinen oder weniger Schmerz erwartet.



Es gibt viele verschiedene Wege, über die psychologische Faktoren
unsere Schmerzwahrnehmung beeinflussen können: zum Beispiel die
Lenkung der Aufmerksamkeit, Hypnose oder eben der sogenannte Placebo-
Effekt. Doch welche neurobiologischen Mechanismen sorgen dafür, dass
die Schmerzempfindung reduziert wird? Der UKE-Forscher Falk Eippert,
Institut für Systemische Neurowissenschaften, konnte zusammen mit
Prof. Dr. Christian Büchel, Dr. Jürgen Finsterbusch und Dr. Ulrike
Bingel nachweisen, dass ein Placebo-Effekt mit einer verringerten
Nervenzellaktivität im Rückenmark einhergeht. Ihre Ergebnisse wurden
in der renommierten Fachzeitschrift "Science" (Vol. 326, 16. Oktober
2009) publiziert.


Bisher lieferten Neurowissenschaftler für den Placebo-Effekt diese
Erklärung: Der Glaube an die Wirksamkeit eines Schmerz-Medikaments
führt im Gehirn zur Ausschüttung von endogenen Opiaten - auch
Endorphine genannt. Dies passiert sowohl in der beim Menschen
besonders ausgeprägten frontalen Großhirnrinde, wie auch in
evolutionär älteren Arealen im Hirnstamm. Die Ausschüttung dieser
endogenen Opiate geht mit einer verminderten Schmerzwahrnehmung und
einer entsprechend geringeren Antwort von Nervenzellen in
schmerzverarbeitenden Hirnarealen einher. Wie diese Opiatausschüttung
und die Reduktion der schmerz-relevanten Nervenzellaktivität
zusammenhängen, war bisher ungeklärt.

In einer früheren Studie konnte Falk Eippert vom Institut für
Systemische Neurowissenschaften bereits zeigen, dass Placebo-Effekte -
also eine verringerte Schmerzwahrnehmung trotz physikalisch gleicher
Stimulation - mit einer verstärkten endorphinergen Kopplung zwischen
frontalen Arealen der Großhirnrinde und dem Hirnstamm einhergehen.
Jüngste technische Entwicklungen ermöglichten es Falk Eippert nun,
mittels hochauflösender kernspintomographischer Aufnahmen des
menschlichen Rückenmarks nachzuweisen, dass ein Placebo-Effekt mit
einer verringerten Nervenzellaktivität im Rückenmark, der ersten
Station des Zentralnervensystems, einhergeht. Somit konnte gezeigt
werden, dass psychologische Faktoren der Schmerzmodulation tief im
Hirn verwurzelt sind.

Die Tatsache, dass solche Einflüsse im menschlichen Rückenmark messbar
sind, ist auch für klinische Studien zur Testung von neuen
Medikamenten relevant, da man somit deren Effektivität und Wirkungsort
genauer untersuchen kann.


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Maren Puttfarcken, 16.10.2009
10:17


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20.10.2009 21:35
avatar  Eveline
#2
Ev
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Psychobiologische Grundlagen der Placebo-Analgesie

Der Placebo-Effekt ist eine reproduzierbare und messbare Wirkung einer Behandlung, die nicht auf einen spezifischen Wirkstoff zurückgeführt werden kann. Diese unspezifische therapeutische Wirkung (und Nebenwirkung, d.h. Nocebo-Effekt) ist psychologisch und neurobiologisch evendenzbasiert.
Placebo-Effekte sind solche therapeutischen Effekte, die aufgrund der Bedeutung zustande kommen, die eine Intervention für eine
bestimmte Person hat (Walach & Sadaghiani 2002). Wie entstehen Placebo- und Nocebo-Effekte? Aus psychologischer Sicht sind 3 Mechanismen bekannt (Price & Bushnell 2004):

1. Klassische Konditionierung (respondentes Lernen):
konditionierte Stimuli (z.B. der weiße Arztkittel, Geruch von Desinfektionsmittel, Untersuchungsliege, Diplome an der Wand) werden mit unkonditionierten Behandlungsprozessen assoziativ verknüpft, sodass hinkünftig der konditionierte Stimulus alleine den Behandlungsprozess auslösen kann. So ist beispielsweise bekannt, dass Kapseln besser wirken als Tabletten; blaue Tabletten wirken eher beruhigend, während rote bzw. orange Tabletten eher stimulierend wirken (jeweils unabhängig vom Wirkstoff).

2. Operante Konditionierung (instrumentelles Lernen):
die Konsequenzen (Auswirkungen) einer Handlung können hinkünftig die Handlung verstärken oder abschwächen. So kann beispielsweise eine gebückte Körperhaltung durch vermehrte Zuwendung (weitgehend unbewusst) verstärkt werden.

3. Kognitiv-emotionales Modell: Einflussgrößen wie z.B. motivationale Faktoren, die Grundgestimmtheit von Arzt und Patient, sowie die Erwartungshaltung („desire for relief“) können den Behandlungsverlauf und das Resultat entscheidend beeinflussen. Beispielsweise können ausführliche Beipackzettel als Nocebo wirken, indem sie eine negative Erwartungshaltung aufbauen und somit die Nebenwirkungsrate (auch ohne Wirkstoff) erhöhen.

Unterschiedliche neurobiologische Systeme sind dabei involviert (Benedetti et al. 2005):

1. Konditionierungsvorgänge im Zusammenhang mit Placebo korrelieren mit Aktivitätssteigerungen im vorderen Teil des Gyrus cinguli in Verbindung mit dem Präfrontalen Cortex. Konditionierungsvorgänge – wie jeder Lernvorgang - sind an das Glutamatsystem (NMDARezeptoren) gebunden und werden über unterschiedliche Transmitter- und Rezeptorsysteme mediiert (u.a. über das endogene Opioid- System).

2. Kognitiv-emotionale Erwartungshaltungen im Zusammenhang mit Placebo korrelieren teilweise mit Aktivitätssteigerungen im Gyrus
cinguli, teilweise im parietalen Cortex. Diese Placebo-Effekte sind eng an das endogene Opioidsystem gebunden, sind können durch
Opiatantagonisten auch komplett aufgehoben werden.

3. Nocebo-Effekte sind unabhängig von Placebo-Effekten, sie werden überwiegend durch CCK (Cholezystokinin) mediiert.


Medizinethische Aspekte


Zur Aufklärungspflicht aus juristischer Sicht

Jeder medizinischen Behandlung – also auch einer Behandlung mit Placebos – hat eine (ärztliche) Aufklärung voranzugehen. Sie ist wesentliche Grundlage für den vielzitierten „informed consent“, der die Voraussetzung für die rechtswirksame Einwilligung zur Behandlung darstellt.
Aufklärung kann nicht nur der Schaffung und Wahrung der Selbstbestimmung des Patienten dienen, sondern auch der Herstellung der – vom Arzt gewünschten – Compliance, welche ihrerseits maßgeblich für den von allen Beteiligten erhofften (Heilungs-)erfolg im Rahmen einer medikamentösen Behandlung sein kann.
Der Beitrag zur (ärztlichen) Aufklärungspflicht versucht zunächst einen Überblick über den Sinn und die Funktion der Aufklärung zu geben, dann sollen die wesentlichen rechtlichen Vorschriften kurz benannt und erläutert werden.
Weiters werden beleuchtet: Selbstbestimmungsaufklärung (Diagnose-, Behandlungsaufklärung, Aufklärung über Risiko+Folgen), therapeutische Aufklärung (Sicherungsaufklärung), sowie ein Überblick zu den einzelnen Aspekten bei der Aufklärung (Form, Umfang der Aufklärung inkl. Verzicht etc.) gegeben.
Schließlich soll auch aufgezeigt werden, wie durch geeignete Aufklärung Behandlungsfehler und damit auch Haftungsprobleme vermieden werden können.


Quelle:
Österreichische Schmerzgesellschaft


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