Degenerierte Bandscheiben oft genetisch bedingt

10.09.2009 04:03 (zuletzt bearbeitet: 10.09.2009 04:04)
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Ev
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Mehr Lebensqualitüät
bei Rückenschmerzen angestrebt



Das "Kreuz mit dem Kreuz", wie Rückenschmerzen gerne umgangssprachlich
bezeichnet werden, ist weit verbreitet. Die Ratlosigkeit über Ursachen
und Therapiemöglichkeiten der Volkskrankheit auch. "In 85 Prozent der
Fälle mit Wirbelsäulenproblemen gibt es keinen klinischen Konsens über
die Behandlungsformen zwischen den verschiedenen Ländern und Ärzten",
sagen Dr. Cornelia Neidlinger-Wilke und Professor Hans-Joachim Wilke
vom Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik der
Universität Ulm. Das Forscher-Ehepaar beschäftigt sich hier intensiv
mit der Degeneration von Bandscheiben, häufig die Ursache von
Rückenschmerzen.


Die daraus resultierenden Beeinträchtigungen der Lebensqualität bei
den Betroffenen hat inzwischen auch die EU erkannt, ebenso die enorme
ökonomische Belastung für die Gesellschaft. Mit fast drei Millionen
Euro fördert sie über fünf Jahre das interdisziplinär und
international angelegte Forschungsprojekt GENODISC, in dessen Rahmen
neue diagnostische Verfahren und Therapien bei der
Bandscheibendegeneration entwickelt werden sollen. Beteiligt daran:
Genetiker, Zellphysiologen, Ingenieure und Spezialisten auf den
Gebieten regenerative Medizin und Computeranalyse mit Unterstützung
von Chirurgen und Orthopäden. Wobei sich die Institute auf nicht
weniger als zehn Ländern verteilen, koordiniert übrigens von Dr. Jill
Urban (Universität Oxford/England). Und mit dabei aus gutem Grund eben
auch das Ulmer Institut: "Ich kenne kein anderes Institut weltweit,
das in dieser Kombination alle Untersuchungsmethoden abdeckt", erklärt
Professor Wilke nicht ohne Stolz und Gattin Cornelia verweist auf die
Beteiligung der Ulmer Wissenschaftler an einem früheren EU-Projekt
ähnlicher Ausrichtung, "allerdings eher im Bereich der
Grundlagenforschung". Dagegen sei das jetzt angelaufene und weitaus
umfangreichere Forschungsvorhaben bereits "vorwiegend klinisch
orientiert", ermögliche aufgrund der zahlreichen Partner auch deutlich
größere Fallzahlen.

Ganz besonders wichtig allerdings: "Wir können auf den Ergebnissen des
ersten Projekts aufbauen", so Neidlinger-Wilke. Konkret: "Demnach
spielen genetische, also erbliche Einflüsse bei der
Bandscheibendegeneration eine große Rolle."
Eine wesentlich größere Rolle jedenfalls als in der Vergangenheit
angenommen. Da seien die Ursachen eher mechanischen Überbelastungen
der Wirbelsäule zugeschrieben worden. "Das stimmt aber nur zum Teil",
erläutert Hans-Joachim Wilke, "selbst sehr starke Belastungen haben
einen eher untergeordneten Einfluss". Folglich stünden bei der
Fragestellung jetzt die genetischen Ursachen im Vordergrund, daneben
aber auch die mechanischen Konsequenzen, den Einfluss der
Bandscheibendegeneration auf die benachbarten Wirbelsäulenstrukturen
also. Darauf konzentriert sich das eine der beiden Ulmer Teilprojekte,
auf mögliche zellbiologische Ursachen für den Verschleiß des
Bandscheibengewebes das andere.

Für den biomechanischen Part entwickelt Professor Wilke mathematische
Wirbelsäulenmodelle, mit deren Hilfe die Auswirkungen der Degeneration
auf andere Wirbelsäulenstrukturen untersucht werden können, auf die
kleinen Wirbelgelenke etwa, nicht selten die eigentliche Ursache von
Rückenschmerzen. Zurückgreifen kann er dabei auf eine umfangreiche
Datenbank. "Mit den Ergebnissen aus 15 Jahren Forschung, aber auch
einer Vielzahl neuer experimenteller Untersuchungen", erklärt der
selbst interdisziplinär ausgebildete Wissenschaftler, Diplom-Ingenieur
mit einem abgeschlossenen Maschinenbaustudium an der Universität
Stuttgart, später als Humanbiologe promoviert (summa cum laude) und in
Experimenteller Chirurgie habilitiert.
Gattin Cornelia, ebenfalls summa cum laude in Humanbiologie
promoviert, widmet sich derweil in ihrem Projekt biomechanischen und
biochemischen Einflüssen auf die Bandscheibenzellen. Druck und Dehnung
also zum einen, der Nährstoff- und Sauerstoffversorgung zum anderen,
allesamt mögliche Einflussfaktoren für den Abbau des Gewebes. "Die
Bedingungen, denen Bandscheibenzellen bei der Degeneration ausgesetzt
sind, können wir im Labor simulieren", erklärt Dr. Neidlinger-Wilke.
Stets im Blick sei dabei indes die Korrelation mit genetischen
Untersuchungen. Ferner beschäftige sie sich mit der Rolle von
Entzündungsfaktoren bei der Regulation des degenerativen Gewebeabbaus
und nicht zuletzt mit der Entwicklung eines biologischen
Bandscheibenersatzes, dem so genannten Tissue Engineering. Dabei
werden der Forscherin zufolge Bandscheiben- und adulte Stammzellen auf
ihre biologischen und mechanischen Wechselwirkungen untersucht mit dem
Ziel, künftig patienteneigene Zellen zur Regeneration degenerierter
Bandscheiben zu nutzen, "den Schmerz ohne größere chirurgische
Eingriffe zu lindern", wie sie sagt.

Allerdings: "Es ist sehr fraglich, ob das überhaupt funktioniert",
zeigt sich Neidlinger-Wilke skeptisch. Vielmehr sei zumindest nicht
auszuschließen, dass das gezüchtete Gewebe durch negative Faktoren
ebenso zerstört werde wie zuvor das natürliche.
Unabhängig davon: Erkenntnisse über molekulare Mechanismen der
Degeneration, ein Kernziel des Projekts, wären aus Sicht des Ulmer
Forscherpaars ein entscheidender Schritt für die Entwicklung besserer
Diagnosemethoden und Erfolg versprechender Therapieansätze. "Damit
soll bei Patienten mit akuten Rückenschmerzen verhindert werden, dass
diese zu chronischen Schmerzpatienten werden."


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Ulm, Willi Baur, 10.09.2009 12:42


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